Reinhold-Becker-Haus - wie weiter?
Das seit langem leerstehende Haus am unterem Markt ist seit vielen Jahren Gegenstand von Diskussionen im Stadtrat und in der Bevölkerung.
Denn obwohl mittlerweile in extrem schlechtem Zustand hat das Gebäude einen hohen historischen Wert für Adorf.
Februar 2022 - Verkauf beschlossen
Am 07.02.2022 beschloss der Adorfer Stadtrat, das Reinhold-Becker- oder auch Trampeli-Haus zu verkaufen. Das Gebäude erwirbt der Verein für klassische Musik Adorf e.V. unter seinem Vorsitzenden Wolf Matthias Friedrich für den symbolischen Preis von 1,00 €. Der Verein möchte das Haus vor dem Verfall retten und in seiner ursprünglichen barocken Bauweise erhalten. Geplant ist die Sanierung des Gebäudes mit Unterstützung des Fonds für Denkmalschutz für die spätere Unterbringung der Sammlung Johannes Wolffs zur Adorfer Orgelbaugeschichte und den musikalischen Größen der Stadt, insbesondere Johann Caspar Kerll. Dieser bisher nur bedingt einsehbare Schatz soll in einem geeigneten Rahmen einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Mehr zum geplanten Nutzungskonzept des geschichtsträchtigen Hauses finden Sie hier. Die Sanierung soll noch dieses Jahr beginnnen und wird sich voraussichtlich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Für den Verein ist es eine mutige Entscheidung, die wir zu schätzen wissen, und bedeutet keinen geringen Kraftakt.
Januar 2022 - Es tut sich was...
Die Stadt plant den Verkauf des Reinhold-Becker-Hauses am unteren Markt. Schon vor Jahren hatte sich der Stadtrat schweren Herzen zum Abriss des verfallenden Gebäudes durchgerungen. Dann wurde sich verständigt, anhand belastbar ermittelter Sanierungskosten noch einmal auf Investorsuche zu gehen. Nun liegt ein Kaufantrag vor, der große Hoffnungen weckt, das wertvolle Haus nicht nur zu erhalten, sondern auch in seinem historischen Kontext zu nutzen.
Der Verkauf soll in der öffentlichen Stadtratssitzung am 07.02.2022 beschlossen werden. Beginn ist 18.00 Uhr in der Aula der Zentralschule (3G).
Entscheidung des Stadtrates
In seiner Sitzung am 08.06.2020 befürwortete der Stadtrat folgende Vorgehensweise:
- Bekanntmachung des Gutachtens einschl. der Kostenschätzungen für die Sanierung
- nochmalige Suche nach einem Investor
- falls innerhalb der nächsten zwei bis drei Monate keine Interessensbekundung eingeht, erneute Gespräche mit der Denkmalschutzbehörde und Weiterverfolgung der Abrisspläne
Gutachten
Am 08.06.2020 stellte das beauftragte Planungsbüro Knüpfer aus Oelsnitz dem Stadtrat ein umfangreiches Gutachten zum Bauzustand des Hauses vor. Das Gutachten wurde von der Denkmalschutzbehörde vollumfänglich anerkannt. Die wichtigsten Dinge hier zusammengefasst:
Bauzustand
Es bestehen gravierende Schäden, wobei diese insbesondere auf den jahrzehntelangen Leerstand und die seit den 1930er Jahren stets nur hinhaltend und notdürftig veranlassten Instandsetzungsmaßnahmen zurückzuführen sind. Kurz umrissen, ist bis auf die
sanierungsfähigen Außenwände und das Pfettendach im Spitzboden nahezu keine solide und tragfähige Bausubstanz mehr vorhanden. Im Erdgeschoss ist das Gewölbe teilweise eingestürzt.
Das Holzschutzgutachten ist niederschmetternd. Es besteht eine starke Überschreitung der kritischen Holzfeuchte von 20 % und durch den umfangreichen tierischen und/oder pilzlichen Befall. Balkenauflager sind durchgefault. Festgestellt wurden auch biologisch bedingte Schäden der Mauerwerkszerstörung durch den Echten Hausschwamm.
Standsicherheit
Das Gebäude ist nicht stabil. Dies ist insbesondere auf fehlende Ringanker und die größtenteils funktionslosen Einbindungen der Decken in die Außenwände zurückzuführen. Es bestehen Risse in tragenden Wänden.
Das Fundament aus Bruchsteinen errichtet und hat nicht die erforderliche Tiefe. Das Bruchsteinmauerwerk ist teilweise verschlissen und hat ein inhomogenes Gefüge. Regelmäßig auftretende Schwarmbeben taten ein Übriges. Die Gründung ist nur noch eingeschränkt tragfähig.
Die Außen- und Innenwände sind aufgrund von Feuchteschäden und Rissen nur eingeschränkt tragfähig.
Abgesehen von einer Balkendecke im Dachgeschoss sind die Decken im Gebäude nicht mehr tragfähig.
Baugrund
Anders als vermutet ist der Baugrund nicht ursächlich für die an zahlreichen Rissen erkennbare Bewegung des Gebäudes.
Kunsthistorischer Wert
Die kunsthistorische Qualität des Gebäudes liegt bis auf die Kreuzgratgewölbe im
Erdgeschoss nicht im Gebäudeinneren. Die kunsthistorische Qualität besteht aus der für das 18. Jahrhundert typischen Kubatur des Hauses und seiner Geschichte in Verbindung mit den Bewohnern Trampeli und Reinhold Becker.
Notsicherung zur Verhinderung des Verfalls
Das Haus ist insbesondere in Bezug auf das nahezu nicht mehr tragfähige Mansarddach
und den eingebrochenen Mauerpfeiler bei der rechten Gebäudevorderseite stark einsturzgefährdet. Zur Vermeidung einer Einzäunung mit Einschränkung der Zuwegung zur Grabentreppe und zum Nachbargrundstück sowie einer Sperrung des Schulgartens sind lt. Gutachten zeitnah folgende Notsicherungsmaßnahmen zu veranlassen:
- Instandsetzung des Mauerpfeilers einschließlich der anschließenden Fensterbögen oder alternativ Notunterstützung dieses Bereiches
- Notabstützung des Pfettendaches im Spitzboden
Um das Gebäude weiterhin überhaupt zu erhalten und ca. weitere 20 Jahre vor dem endgültigen Verfall zu bewahren wären über diese Sofortmaßnahmen hinausgehende umfangreiche Notsicherungsmaßnahmen notwendig. Diese umfassen den Austausch nahezu sämtlicher Holzelemente (außer im Spitzdach) einschließlich des angrenzenden, bereits angegriffenen Mauerwerks. Zur dauerhaften Verhinderung des Einsturzes wäre der Bau einer Stahlkontruktion mit stützender Funktion notwendig.
Die Kosten dafür belaufen sich einschließlich Baumeister- und weiterer Nebenkosten auf 705.000 €. Hinzu kämen noch Kosten für eine Erneuerung des Außenputzes. Von Kosten in Höhe von 750.000 € wäre in diesem Fall mindestens auszugehen.
Erhalt für eine künftige Sanierung
Eine Alternative wäre, das Haus in einen rohbauähnlichen Zustand zu versetzen und auf diese Weise eine weitere Erhaltung für künftige Investoren zu erreichen. Durchzuführen wären:
- Abbruch der verschlissenen und stark geschädigten Decken
- Sanierung der Dachkonstruktion einschließlich Dachneueindeckung und Herstellung der Gauben in der historischen Fassung
- Sanierung Außenmauerwerk und Gründungsertüchtigung
- Stabilisierung des Gebäudes durch den Einbau von neuen Decken auf der Grundlage eines Nutzungskonzeptes oder alternativ über eine innere temporäre Stahlkonstruktion
Hierfür wären ca. 850.000 € zu veranschlagen. Für eine künftige nutzungsorientierte Sanierung bestünde in diesem Fall mehr Baufreiheit, die Kosten betrügen geschätzt mindestens noch einmal 400.000 €.
Abriss und Wiederaufbau
Dies wäre eine weitere Alternative. Inhalt wäre das Gebäude abzubrechen und
neu - unter Aufrechterhaltung der historischen Ansicht einschließlich der seinerzeitigen Gauben - aufzubauen. Die Kosten für das bezugsfertige Gebäude einschließlich der Abbruch- und Baunebenkosten ergeben sich für diese Variante zu 1.575.000 €. Der Denkmalwert wäre damit mehr oder weniger hinfällig.
Die Sicht der Denkmalschutzbehörde
Am 03.06.2020 machte sich der oberste Landeskonservator und Leiter des sächsischen Landesamtes für Denkmalpflege, Herr Alf Furkert, vor Ort in Adorf ein Bild von der Lage. Allein 750.000 € nur für Notsicherungsmaßnahmen auszugeben, erscheint selbst dem Denkmalschutz als nicht verhältnismäßig. Eine Förderung für den Erhalt des Gebäude in einem rohbauähnlichen Zustand (vom Planungsbüro vorgeschlagene Alternative) wäre denkbar. Über die Höhe einer etwaigen Förderung hält sich die Behörde bedeckt. Keine Förderung zu erwarten wäre für den Abriss und anschließenden Wiederaufbau des Gebäudes.
Ruhender Rechtsstreit
Im Mai 2019 erhob die Stadt Adorf Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Versagung der Abrissgenehmigung. Obgleich das Argument der Unzumutbarkeit der Erhaltung eines Denkmals für Kommunen schwer geltend gemacht werden kann, solange nicht die Erfüllung von Pflichtaufgaben gefährdet ist, hatte man sich zu diesem Schritt entschlossen. Die Stadt wendet erhebliche Mittel auf, um denkmalgeschützte Gebäude zu erhalten und deren Nutzung zu ermöglichen. Die bevorstehende Sanierung der Turnvater-Jahn-Halle und die geplante Einrichtung eines Erlebniszentrums Perlmutter einschließlich der Generalwiederherstellung des Gebäudes Graben 2 sind jeweils Millionenvorhaben. Außerdem erscheint es aufgrund des Bauzustandes des Reinhold-Becker-Hauses naheliegend, dass durch den erforderlichen Umfang der Sanierung die Denkmaleigenschaft verloren geht. Die Verhältnismäßigkeit eines Erhaltungszwangs liegt aus Sicht der Stadt nicht vor.
In der Folge wurde sich mit der Denkmalschutzbehörde darauf geeinigt, ein fundiertes Gutachten über den baulichen Zustand, den Baugrund und den kunsthistorischen Wert zu erstellen. Seitdem ruht das Verfahren.
Diskussionen in den Vorjahren
Lange Jahre war versucht worden, für das Gebäude Interessenten zu finden. Es scheiterte stets am hohen Sanierungsbedarf und einem fehlenden tragfähigen (!) Nutzungskonzept. Letzteres gibt es bis heute nicht, obwohl natürlich Vorschläge kamen. Von vielen Adorferinnen und Adorfern wäre zum Beispiel die Einrichtung Museums zur Orgelbaugeschichte gern gesehen worden. Auch der Einzug der Musikschule stand zeitweise in Rede. Finanziell für die Stadt jedoch nicht zu stemmen bzw. für die Musikschule nicht geeignet. Im Jahr 2000 nahm der damals agierende Kulturverein um Friedrich Matthias Schmidt Abstand von einem Kauf des Gebäudes, da die Nutzungsidee nicht tragfähig war.
Trotz einer (zunächst nicht näher definierten) Aussicht auf Denkmalschutzfördergeld beschloss der Stadtrat im September 2018 den Abriss des Gebäudes. Gegen die von der Bauaufsicht versagte Abrissgenehmigung, welche auf das Veto der Denkmalschutzbehörde zurückging, erhob die Stadt Klage vor dem Verwaltungsgericht.
Mehr zur Geschichte des Hauses
Das nach dem großen Stadtbrand von Adorf (1768) neu errichtete barocke Gebäude brachte mehrere große musikalische Geister hervor, deren Namen zu ihrer Zeit weit über Adorf hinaus bekannt waren.
Die bedeutende Orgelbaumeisterfamilie Trampeli richtete hier im 18. Jahrhundert ihre Orgelwerkstatt ein. Das erhaltene Gebäude war das Wohnhaus der Familie, die Werkstatt befand sich in einem Nebengebäude. In späteren Jahren ging das Gebäude in den Besitz der Familie Becker über, deren Sohn Reinhold Becker ein bedeutender Komponist und Meister der Musikkunst wurde.
Es ist schade um dieses Haus. Aber dieser von Vielen in den Mund genommene Satz bringt uns allein nicht weiter.
Am Haus angebrachte Ehrentafel (mittlerweile entfernt).