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Auf legaler und illegaler Futtersuche - während und nach dem Zweiten Weltkrieg

erlebt und verbrochen von Lothar Bohne, geb. Aug. 1929

Motto:
Krieg schafft Hunger - Hunger schafft eigene Gesetze

Ernährungssituation

Die Ernährungslage gegen Ende des Krieges und vor allem danach wurde immer schlechter. Lebensmittel, Textilien, Brennmaterialien u. a. gab es von Anfang an auf Marken. Der Milch wurde späterhin das Fett teilweise soweit entzogen, dass sie als sogenannte “blaue Milch” verkauft wurde. Blau deshalb, weil sich durch die Fettarmut am Benetzungsrand im Gefäß ein blauer Schimmer zeigte. Die älteren Jahrgänge werden das noch kennen.
Alles wurde lose verkauft, die heutige Verpackungs(un)kultur war noch unbekannt. Den Kaufleuten wurde die Ware in Blöcken (Butter, Margarine) in Eimern (Marmelade, Senf, u.a.), in Kannen (Milch) oder in Säcken (Zucker, Mehl, Grieß u. a.) angeliefert. Jeder Haushalt hatte seinen Milchkrug (meistens 2 Liter) mit dem man im Geschäft seine Milch holte. Ein Glas für Marmelade musste mitgebracht werden, wenn nicht, dann wurde die Marmelade schon mal in Butterbrotpapier eingepackt. Zu Hause wurde dann zwischen mir und meiner Schwester gestritten, wer das Papier ablecken durfte. Ebenso beim Butterpapier.
Ein richtiger heißer Hunger herrschte bis Ende des Krieges zwar nicht. Man hatte aus dem 1. Weltkrieg gelernt und mit Beginn des Krieges schon die Rationierung eingeführt, während dies im 1. Weltkrieg viel zu spät erst 1916 getan wurde. Außerdem war durch die Eroberungspolitik auf Kosten der besiegten Länder die Ernährungslage im Reich stabilisiert worden.
Erst mit Ende des Krieges und danach verschärfte sich die Lage zusehends. Der Beschaffung von Nahrung auf legale und illegale Weise kam eine immer größere Bedeutung bei. Anhand meiner  nachfolgend beschriebenen Erlebnisse soll dies etwas veranschaulicht werden.

Gänsefang

Die Jagdgründe von uns Kindern aus der Hummelbergsiedlung war vor allem der Wald zum Tetterweintal vom Hausberg bis zum Freiberger Berg.
Es war mitten im Krieg. Ich war 11 oder 12 Jahre alt. Der Tetterweinbach hatte noch kristallklares Wasser. Es gab noch Muscheln darin und flinke Forellen. Eine davon fing ich mit Mühe, habe sie in mein Taschentuch eingewickelt und im Wald vergraben! (Fragt mich nicht warum) Als ich meiner Mutter davon erzählte war sie böse, nicht nur wegen des verlorenen Taschentuches sonder dass ich meinen Fang nicht mit nach Hause brachte.
Das machte ich beim nächsten Mal besser: Im Tetterweintal weideten Gänse. Weit und breit kein Mensch, kein Haus. Das können ja nur Wildgänse sein. Also, auf zum Fang. Wir waren drei Jungs. Wenn wir eine hatten, banden wir sie mit einen Strick um den Hals an einen Baum und fingen die nächste, bis jeder seine Gans hatte. Als ich meine Gans zu Hause vorzeigte war meine Mutter entsetzt. Ich sollte sie sofort wieder dorthin bringen, wo ich sie hergeholt hatte. Ich hab´s getan, die anderen beiden nicht! Die Gier auf einen Gänsebraten war bei meiner Mutter offenbar noch nicht groß genug.
Später wusste ich, dass Wildgänse nicht weiß sind und bei Annäherung mühelos die Flucht ergreifen können.
Ich ordne die Sache als halb legal ein, denn wir handelten im besten Glauben!

Wehrmachtsversorgung


Durch Adorf zogen im April 1945 die letzten deutschen Wehrmacht-Soldaten (auf dem Rückmarsch; wohin ?). Sie machten Rast auf der Ölsnitzerstraße unterhalb des Claviez-Parkes. Auf ihren Lastkraftwagen führten sie noch Vorräte mit, die sie offenbar im Bewusstsein des nunmehr zu Ende gehenden Krieges nicht mehr selbst verbrauchen konnten. Sie gestatten uns Kindern (ich war allerdings schon fast 16 Jahre alt) uns die Taschen vollzustopfen mit allem was wir auf dem Wagen greifen konnten. In Ermangelung eines geeigneten Behältnis habe ich mir meine langen Hosen unten zugebunden (oder hatte ich Knickerbocker an?) und sie mit Dropsstangen, Schokakola (runde Blechschachtel mit feiner Schokolade drin) und vor allem Packungen mit Gerstengrütze gefüllt. Wir haben noch lange Zeit Grützesuppe gegessen.
Das alles völlig legal.

Besäufnis

Am zweiten oder dritten Tag ihres Einmarsches in der Hummelbergsiedlung saß ich mit zwei Amis auf der Bank im Hofe unseres unter uns befindlichen Nachbarhauses (Wollner) und wurde von denen mit Schnaps vollkommen zugeschüttet. Sie machten sich einen Jux daraus, einen Halbstarken besoffen zu machen. Ich erinnere mich  noch, wie ich im Suff ununterbrochen quasselte und mein bescheidenes Englisch von mir gab. Ich kam kaum nach Hause, bin ins Bett gefallen und schlief wer weiß wie lange. Das war der erste und in dieser Form wohl auch der letzte wirklich totale Rausch.
Das hat nicht zur Ernährung beigetragen, und war von den Amis völlig illegal!

Beutezüge

Für die immer schlechter werdende Ernährungslage bot sich zur Aufbesserung in Quantität und Qualität die hervorragende Verpflegungssituation der amerikanischen Truppen an. Die brachten ja fast alles aus Amerika mit: Fertige Breakfast-, Dinner- und Supper-Rationen zu 60 Stück fein verpackt in genormten Kartons; Konserven der verschiedensten Art; Ham-and-Egg-Portionen; Zigaretten jedweder Marke ( u.a. “Camel” “Chesterfield” und “Lucky Strike” ) in bunten Verpackungen und stangenweise, nicht so fantasielos in Pappschachteln untergebracht wie unsere; Kaugummis in großen Mengen; usw. usf.
Einen ihrer Stützpunkte hatten sie in der Claviez-Villa in einem Park unterhalb unserer Hummelberg-Siedlung eingerichtet. Da standen die Fahrzeuge rum mit all den schönen Sachen auf der Ladefläche. Das reizte mich und noch zwei meiner Kumpels in der Siedlung. Tagsüber hielten wir uns öfter dort auf und kundschafteten alles genau aus.  Wir verabredeten uns mehrmals in der Früh um 3 Uhr (verdammt hart für junge Menschen, sich da aus dem Bett zu quälen), wenn alle noch schliefen und die Wachposten am unaufmerksamsten sind, schlichen uns durch die Gärten der unteren Siedlungsreihe, überstiegen den Gartenzaun zur Villa und kletterten unter äußerster Vorsicht auf die abgestellten Lastwagen. Was wir da finden würden wussten wir beim ersten Mal zwar noch nicht, aber in den Kartons die darauf gelagert waren würde schon etwas Brauchbares sein. Jeder von uns schnappte sich einen Karton (von der Größe etwa 40 cm x 40 cm x 60 cm) und mit äußerster Vorsicht ging es auf den Rückweg.
Der Inhalt stellte sich erfreulicherweise als sehr wertvoll heraus: Dutzende Breakfast-Rationen für eine Person  im Karton oder auch Dinner- bzw. Supper-Päckchen. Ein anderes Mal waren es Ölsardinen-Büchsen oder Zigaretten. So haben wir unsere Beutezüge rund um diese Villa vielleicht 4 oder 5 Mal erfolgreich vollendet. Einmal aber hat uns ein Wachposten auf dem Rückweg bemerkt und rief uns laut auf Englisch an. Wir haben die Kartons fallen lassen und sind im Sautempo über die Zäune gesprungen, immer mit der Furcht im Nacken, dass geschossen wird. Man glaubt gar nicht, wie schnell man in Todesangst laufen kann und große Hürden nimmt.
Auch in Claviez’ Fabrik (Adoros-Teppichwerke) war ein ganzer Fuhrpark von Panzern und Lastwagen abgestellt. Hier gingen wir zweimal auf Beutezug. Wir stiegen von der Elsterseite aus über den Zaun zum Werkshof, auch am frühen Morgen, und erbeuteten u. a. eine ganze Kiste Schnaps mit vielleicht vierzig  0,7-Liter Flaschen deutschen Fabrikats.
Zuhause sammelte sich ein ganz schönes Lager mit begehrten Waren an. Sie waren zum Teil in meiner Schlafkammer und zum Teil auf dem Spitzboden oder im Schuppen untergebracht.
Das war natürlich alles illegal, oder in Anbetracht einer “Wehrwolf”-Strategie gegen den “Feind” doch erlaubt?

Knast

Eines Tages fuhr ein Kommando Amis bei uns vor und machte Hausdurchsuchung, vor allem wollten sie meine Kammer sehen. Natürlich fanden sie allerlei und nahmen es mit, aber nicht alles, da es zum Glück an unterschiedlichen Orten gelagert war. Genau so erging es den andern zwei Kumpels. Sie nahmen uns fest und sperrten uns in das Adorfer Gefängnis (Fronfeste an der Johannisstraße), welches damals noch betrieben wurde. Wir saßen in Einzelhaft und die Verpflegung musste von zuhause geliefert werden.
Beim Verhör stellte sich heraus, dass die Amis weniger wegen der geklauten Lebensmittel und Zigaretten gekommen waren, sondern wegen des Verschwindens von Besatzungsgeld aus der Villa. Es sollen 700 Mark gewesen sein, die einem Offizier gestohlen wurden. (Die Alliierten hatten eigenes Besatzungsgeld gedruckt und in Umlauf gebracht, es galt als Zweitwährung zur Reichsmark.)
Der deutsche Hausmeister der Villa hatte ihnen unser häufiges Herumstreunen um dieses Gebäude verraten. Vielleicht könnten wir es gewesen sein, die das Geld an sich nahmen. Jedoch war für uns Geld uninteressant; Nahrung war gefragt. Wir saßen vielleicht eine Woche im Gefängnis und hofften inständig, dass nun endlich die Russen kämen. Denn dieses Gerücht ging schon um. Gerücht war es für uns deshalb, da niemand über die Konferenz von Jalta aufgeklärt war, in der die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen beschlossen wurde.
Wir wurden also endlich entlassen, und am nächsten Tag, dem 2. Juli 1945, kamen die Sowjets bei uns an.
War der Knast nun legal oder illegal? Geld hatten wir ja nicht geklaut!

Sowjets

Die waren im Gegensatz zu den Amerikanern ein Unterschied wie Tag und Nacht. Während erstere voll motorisiert waren, kamen letztere mit Pferden und Pferdewagen daher. Es waren zum Glück keine Kampftruppen mehr, sondern eher gemütliche Etappenhengste die keinen sonderlichen Stress für Mann und Frau bei uns verursachten. Die luxuriöse Verpflegung wie bei den Amis gab es nun nicht mehr. Vielleicht erwischte man mal ein Stück “Chleb”, urtümlich gebackenes feuchtes Kasten-Vollkornbrot, aber das war dann auch alles. Dafür konnten wir Kinder auf ihren Pferden reiten, was ich nur einmal nutzte, aber einer meiner Freunde hat davon öfter Gebrauch gemacht. Auch mit Zigaretten sah es mau aus. Die hatten ja nur Bröseltabak (wie hieß der gleich? Kann sich noch einer daran erinnern? Mahurka oder so ähnlich), den sie in der “Prawda” einwickelten und rauchten.
Wegen Mangel an Angebot konnten hier weder legale noch illegale Geschäfte getätigt werden.

Tschechische Nothilfe


Die Versorgung der Familie musste nun anderweitig gesichert werden.
Meine Schwester Edith, die sich als Wehrmachthelferin nach dem Zusammenbruch von der Ostsee bis nach Adorf mit einem alten Fahrrad durchschlug, und am 28. Mai 1945 wieder zuhause eintraf, ging späterhin in die nunmehr wieder selbstständig gewordene Tschechei  nach Asch, mit einer aus Böhmen stammenden Bekannten aus unserer Siedlung (Erna Miesel), als Haushaltshilfe bei einem Zahnarzt (?). Die Tschechei, die unmittelbar nach dem Kriege wieder als Demokratie im westlichen Sinne entstand, bekam von den USA im Rahmen der Aufbauhilfe sofort Unterstützung für die Errichtung einer normalen Versorgung. Hier waren also wertvolle und lang entbehrte Lebensmittel zu erlangen. Für ihren Verdienst bei der Aufwartung brachte meine Schwester Dinge mit, die wir schon lange nicht mehr gesehen hatten: schönes weißes Brot, Weizenmehl, allerlei Konservenbüchsen und vor allem (medizinischen) Lebertran. Lebertran ist zwar heute nicht mehr ein erstrebenswertes Lebensmittel, aber damals wurde es von uns als besonders energiereich und damit effektiv eingestuft. Auf der heißen Herdplatte wurde Brot geröstet, sogenanntes “Bäschnitz“ (Schreibweise ohne Gewähr), mit Lebertran eingeträufelt, mit etwas Salz bestreut  und mit Hochgenuss verspeist. Auch wurden im Lebertran Pfannkuchen gebacken, die mir wesentlich besser mundeten als die aus Kaffeesatz mit etwas Marmeladenfüllung gebackenen Torten. Der Kaffeesatz rührte nicht etwa von Bohnenkaffee her, den es schon lange nicht mehr gab und den sich die kleinen Leute sowieso nicht leisten konnten, sondern vom Malzkaffee, geröstete  und gemahlene Getreidekörnern, aus denen der “Muckefuck” entstand.
Offiziell war diese Tätigkeit meiner Schwester natürlich nicht erlaubt. Die Grenzen zwischen Deutschland und der Tschechei wurden nach dem Zusammenbruch sofort geschlossen. Einen Grenzverkehr wie bisher gab es nicht mehr. Die Sache lief heimlich und schwarz ab. Die Grenzen waren zwar noch nicht so sehr bewacht wie später nach der kommunistischen Machtübernahme, aber auf der Hut musste man trotzdem sein. So fand der Grenzübertritt dann auch immer im Dunkeln statt. Ein oder zweimal wurden die beiden Frauen erwischt und mussten mit auf die Grenzwache, kamen aber nach einiger Zeit wieder frei. Da sie bei ihrem mehrtägigem Aufenthalt immer so viel verdienten, dass sie dafür eine Menge Lebensmittel einkaufen konnten, holten wir sie von der Grenze bei Bad Elster ab, um beim Tragen zu helfen. Wenn Schnee lag mit dem Schlitten oder sonst mit den Handwagen.
Die Sache war also halb legal (Arbeit und Verdienst), halb illegal (Grenzübertritt).

Ähren- und Kartoffellesen

Als Zubrot zu den kargen auf Lebensmittelkarte erhaltenen Rationen musste auch Ährenlesen dienen. Die nach der Ernte auf den Feldern zufällig zurückgebliebenen Ähren wurden mühsam eingesammelt und zu Hause verwertet. Genau so wie das Kartoffelnachlesen. Das war ganz und gar nicht abenteuerlich und machte mir gar keinen Spaß.
War aber ganz legal.

Allerdings gingen ich und meine Schwester auch kurz vor der Ernte auf richtigen Kartoffelklau. Man durfte sich nur nicht vom Flurschutz erwischen lassen, der eigens für die Sicherung der Felder gegen Diebe von der Stadtverwaltung eingerichtet wurde. Aber die Ausbeute war natürlich immens gegenüber dem Stoppeln.
Aber völlig illegal!

Hühner- und Eierklau

Im unteren Gut im nahegelegenen Dorf Freiberg war der Hühnerstall zum Wald hin gelegen und vom Gut her nicht einsehbar. Die da frei laufenden Hühner waren für hungrige Mägen allzu verlockend. Wir drei Jungs ließen uns nicht lange von Gewissensbissen aufhalten und fingen uns jeder ein Huhn. Ich wundere mich heute noch, dass das Gegacker und Geschrei der Hühner niemanden auf den Plan rief. Die Eier im Stall waren auch nicht sicher. Man konnte sich gut von der unbeobachteten  Rückseite des Stalles anschleichen und die Nester leeren. Zu Hause wurde mit etwas gemischten Gefühlen die Beute akzeptiert, wenn auch vorwurfsvolle Blicke nicht ausblieben. Jedoch der Ausblick auf Braten und Spiegelei in dieser Notzeit beschränkte meine Mutter auf eine milde Ermahnung.
Ein ganz und gar illegales Verhalten, aber heute verjährt!!

Die Ziege

Zur besseren Versorgung trug auch eine Ziege bei, die ich bei einer Versteigerung des Eigentums eines nach dem Westen abgehauenen Fabrikanten (Taschen - Walter, Etuifabrik am Schwarzbach) für 50,- RM erstand. Das “Heimschieben” dieser bockigen Ziege, die sich ganz und gar nicht von ihrem Stall entfernen wollte, von der Markneukirchener Straße in die Siedlung, gelang mir aber nur mit der tatkräftiger Unterstützung meines Cousins. Die Ziege lieferte so manchen wertvollen Liter Milch, den meine Schwester (nur von ihr ließ sich die Ziege melken) aus ihr herauslockte. Wir hatten später dann zwei Ziegen. Außerdem Hasen und Hühner, was uns das Leben in dieser Zeit ganz schön Zeit erleichterte.
Alles ganz legal.

Musikantenlohn

Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches 1945 wurden die alten Traditionen wieder geweckt, und deshalb wurde auch die vor 1933 existierende Schalmeien-Kapelle der Adorfer Arbeiterschaft (landläufig: “die Hupenkapelle“) unter Leitung von Reinhard Schreckenbach neu aufgebaut. Die Instrumente waren alle noch erhalten. Sie mussten irgendwo versteckt worden sein.
Für Nachwuchs wurde geworben, und so fand ich mich bei den ersten Übungsabenden ein, um neben den alten Mitgliedern ein neuer, schneidiger Schalmeienbläser zu werden.

Adorfer Schalmeienkapelle 1946/1947
(vor der Turnvater-Jahn-Halle; hinten Mitte: Chef Reinhard Schreckenbach, zweite Reihe rechts: Lothar Bohne)

Wir sind bei allerlei Anlässen aufgetreten. Wir spielten bei Umzügen aber auch zum Tanz auf. Zum 1. Mai 1946 und 1947 brachten wir vor dem sowjetischen Kommandantur in der Lessingstraße in Adorf unser Musikstücke vor und wurden mit viel Wodka belohnt. Beim Abmarsch torkelten wir in nicht mehr ganz einwandfreier Formation, aber immer noch spielend, die Straße entlang. Das trug zwar nicht zur Ernährung bei, war aber eine hochwillkommene Belustigung.
Vor allem auf den Dörfern haben wir zum Tanz für die dortige Jugend aufgespielt. Das war besonders lohnend. Die Bauern haben uns gut mit Essen versorgt, was damals wichtiger als jede finanzielle Vergütung gewesen war.
Von unserer Seite ein ganz legales Verhalten, was die Bauern betrifft vielleicht auch nicht.

Tauschgeschäfte


Schwarzmarktpreise und Tauschgeschäfte waren an der Tagesordnung. Aus meinen amerikanischen Klaubeständen hatte ich noch reichlich Zigaretten übrig. Ich habe selbst nicht geraucht und konnte alles gegen Lebensmittel eintauschen. Mein Schulfreund Karl Eichhorn hatte gute Beziehungen zum Hertel-Bäcker und hat als Mittelsmann für eine Schachtel Ami-Zigaretten ein Vierpfundbrot beschafft. Dass der Karl für die Schachtel zwei Brote erhalten hat ist höchst wahrscheinlich. So musste eben jeder mit mehr oder weniger Gaunerei für sein leibliches Wohl sorgen. Auch andere Lebensmittel waren natürlich mit dieser “Zigarettenwährung” zu bekommen.
Die Währung “Teppichware”, über die viele Adorfer aufgrund ihrer Tätigkeit in der Teppichfabrik verfügten, verfiel aber zusehends in der Umgebung. Alle gingen damit auf die umliegenden Dörfer, um bei den Bauern Lebensmittel dafür einzutauschen. Bald hieß es: die Bauern können schon ihren Kuhstall damit auslegen und rückten kaum noch einen nennenswerten Gegenwert dafür heraus. So musste man sich neue “Absatzmärkte” erschließen. Mein Schwiegervater Alfred Wenzl fuhr bis in die Altmark um Teppichware gegen Kartoffeln oder vielleicht auch mal Speck o. ä. einzutauschen.
Der Schnaps aus meinem Beutegut hat für die Verbesserung der Stimmung beim Tanzvergnügen im Schützenhaus mehr beigetragen als das elende Dünnbier. Der wurde auf der Toilette konsumiert um die Nassauer möglichst fernzuhalten und dem “Schniegler Paul” als Betreiber des Schützenhauses keine Gelegenheit zum Protest zu geben.
Alles natürlich illegal.

Brennholz

Zum Leben gehörte aber nicht nur die Nahrung, es musste im Winter auch für eine warme Stube gesorgt werden. Brennmaterialien waren knapp. Auf Bezugsschein viel zu wenig. Also gingen wir in den Wald und suchten uns abgestorbene Bäume aus, die wir dann umlegten und nach Hause schmuggelten. Manchmal musste auch ein “grüner” Baum dran glauben. Es war verboten, Bäume aus dem Wald ohne Erlaubnis zu entnehmen.
Die Ostarbeiterbaracke bei den Adoros-Teppichwerken ließ sich auch hervorragend in Wärme umwandeln. Sie stand nunmehr leer und verleitete Jedermann zum Abriss.
Ganz und gar illegal.

Späterhin, nachdem die Sturmzeiten sich langsam gelegt hatten, habe ich mit meinen Schwiegervater ganz legal “Stöcke gegraben“. Verflucht mühsam, mit viel zu viel Schweiß verbunden; auch das Zerkleinern  dieser verkrüppelten Wurzeln hatte es in sich. Aber der Brennwert war hervorragend.
Ganz legal.

Entnommen aus meinen Lebenserinnerungen und bearbeitet im April 2014

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