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Zwangsarbeit während des Zweiten Weltkrieges in Adorf

Diese Zusammenstellung beruht im Wesentlichen, das heißt bis auf wenige ausgewiesene Ausnahmen, nicht auf historischen Dokumenten, sondern nahezu ausschließlich auf Berichten von Zeitzeugen. Diese berichteten nach bestem Wissen und Gewissen, was sie selbst aus der damaligen Zeit in Erinnerung hatten, teils aus eigenem Erleben, teils von Dingen, die innerhalb der Familie oder allgemein in Adorf zu dieser Zeit bekannt und im Gespräch waren.
Erinnerungsirrtümer und Halbinformationen sind daher nicht auszuschließen, historische Genauigkeit nicht verbürgt. Die auf diese Weise zusammengetragenen Geschichten und Angaben sollen hiermit jedoch einfach festgehalten werden bzw. erhalten bleiben.

Auch in Adorf mussten Gefangene während des Zweiten Weltkrieges Zwangsarbeit verrichten. Zum einen betraf dies die (verharmlosend) so genannten Fremd- oder Ostarbeiter, das heißt Angehörige der Zivilbevölkerung aus osteuropäischen Ländern, darunter oft auch Frauen, und zum anderen in Adorf inhaftierte kriegsgefangene Soldaten der Alliierten.

Ostarbeiter
Wann genau die ersten Ostarbeiter nach Adorf kamen ist unklar. Belegt ist jedoch, dass im Jahr 1942 bereits 37 Sowjetrussen, 27 Tschechen, 18 Polen, vier Ukrainer und drei Jugoslawen in Adorf lebten, anzunehmenderweise nicht freiwillig. Im Jahr darauf waren es bereits 259 Sowjetrussen, 53 Tschechen, 22 Polen, fünf Jugoslawen und vier Ukrainer, außerdem einzelne andere Ausländer (Quelle: Einwohnermeldelisten Stadt Adorf, 1942 und 1943, Archivgut Nr. 1309 hist. Archiv Stadt Adorf im Kreisarchiv Vogtlandkreis). Das Schicksal einer jungen Haushaltshilfe der Pächterin der "Garküche" war beispielsweise, dass sie in ihrem Heimatort nach einem Kinobesuch unvermittelt, ebenso wie alle anderen Besucher der Kinoveranstaltung, direkt vom Kino auf einen Lkw verladen und nach Deutschland gebracht wurde. Von anderen ist bekannt, dass sie direkt von der Feldarbeit abtransportiert wurden. Die Ostarbeiter trugen einen viereckigen (ca. 5 x 10 cm großen) Aufnäher mit der Schrift „Ost“ auf der Kleidung.

Es gab mehrere Lager für Ostarbeiter in Adorf, eins davon war das Lager mit Ostarbeitern, die für die Heinkel Flugzeugwerke arbeiteten. In den Lagergebäuden unterhalb der Teppichfabrik (später Konsum) haben Adorfer, die nach Kriegsende auf dem Gelände Brennholz sammelten, noch Drehbänke gefunden. Diese wurden im Jahr 1946 von den Russen abtransportiert. Ein weiteres Ostarbeiterlager befand sich unweit davon an der Oelsnitzer Straße auf dem Gelände der heutigen Straßenmeisterei. Zu vermuten ist, dass die hier untergebrachten Ostarbeiter in der Teppichfabrik arbeiteten, aber dazu gibt es keine Aussagen.
Ein weiterer Betrieb, für den Ostarbeiter arbeiteten, war die Gebrüder Uebel-Fabrik. Auf dem Grundstück am Mühlweg, das sich zwischen den beiden Eisenbahnbrücken befindet, war eine Brennnesselfabrikation errichtet worden. In einer langen festen Baracke, wurden Fasern aus Brennnesselpflanzen gewonnen, die in der Gebr. Uebel Fabrik weiterverarbeitet wurden (die Pflanzen sollen etwa 2 m hoch gewesen sein und ergaben feste graue Fasern, die - so sagte man in Adorf - zu Afrika-Uniformen verarbeitet wurden). Die Brennnesseln stammten von verschiedenen Brennnesselfeldern in Adorf, zum Beispiel am Remtengrüner Weg, beim ehemalligen Sportplatz Markneukirchner Straße oder in Richtung der Heilstätte. Um einen kurzen Weg in die Uebel-Fabrik zu ermöglichen, wurde eigens eine Bahnunterführung errichtet, so dass man von der "Brennnesselfabrik" einen direkten Zugang, unter dem Bahndamm und dem Schwarzen Weg hindurch, in die Uebel-Fabrik hatte.

Die Bahnunterführung gibt es heute noch, sie ist jedoch versperrt und von der Fabrikseite her (heute Fa. Naue) verfüllt. Dieses Foto von der Seite vom Mühlweg her enstand 2014. Heute ist die Unterführung auch auf dieser Seite vom Grundstückseigentümer komplett verfüllt worden. Die genaue Lage lässt sich nur noch im Schwarzen Weg an der betonierten Fläche erkennen, unter der sich die Unterführung befindet.
Die etwa 20 Arbeiterinnen der Brennnesselfabrikation waren in einem eher kleinen Lager in der Mehlthau direkt an der Weißen Elster untergebracht (heute: neben der hinteren Zufahrt zur Fa. Naue). Zu Kriegsende wurde die Baracke getroffen und brannte ab, danach wurden die Ostarbeiterinnen ins Amtsgericht am Markt umquartiert.

Viele Ostarbeiter arbeiteten in der Landwirtschaft. Berichtet wird zum Beispiel von Polen, die auf Feldern des oberen Rittergutes in Freiberg bei der Erntearbeit, aber auch zu Arbeiten wie Rüben verziehen eingesetzt wurden. Auch in manchen kleineren Familien- oder Handwerksbetrieben gab es Ostarbeiter, die einzeln dort untergebracht waren und bei allen anfallenden Arbeiten in Geschäft, Haus und Hof helfen mussten.

Wieviel Lohn die Ostarbeiter bekamen, ist unklar. Fakt ist, dass sie über Geld verfügten und sich in gewissem Maße frei in der Stadt bewegen konnten. Auch konnten sie bestimmte, für Fremdarbeiter zugelassene Geschäfte aufsuchen, wie bestimmte Gaststätten (z. B. "Zeppelin" oder "Zur Alp"), aber auch Friseurgeschäfte. Allerdings gab es strenge Regeln einzuhalten. Es war bei Strafe verboten, Fremdarbeiter daheim mit der Familie zusammenzubringen, z. B. zusammen am Tisch zu verköstigen (was manche trotzdem taten). Auch sonstiger näherer Kontakt war verboten, insbesondere auch sexueller Kontakt mit Deutschen oder anderen Fremdarbeitern. Dass dies nicht immer eingehalten wurde, ist naheliegend. So kann man nur ahnen, welches Schicksal sich hinter diesem Grabstein verbirgt. Im strengen Winter 1943/44 verstarb ein vier Monate altes Baby, Alexandr Matjaschtschjuk, vermutlich das Kind einer Ostarbeiterin. Sein Grab befindet sich auf dem Adorfer Friedhof. 

Kriegsgefangene

Die ersten Kriegsgefangenen in Adorf dürften Franzosen gewesen sein. Es folgten Russen ab Ende 1941 und Amerikaner 1944. Daneben wird von wenigen Kriegsgefangenen aus anderen Ländern berichtet, Rumänien, Neuseeland, Australien. Die Kriegsgefangenen wurden bewacht, waren geschlossen untergebracht und konnten sich nicht frei bewegen; sie trugen ein rotes, auf der Spitze stehendes Dreieck auf dem Rücken.

Die Franzosen waren nach Aussagen vieler Adorfer im "Feldschlösschen" in der Markneukirchner Straße (das Stammlokal der Kommunisten in Adorf) untergebracht, wo sie im Saal schliefen. Früh morgens marschierte die Franzosenkolonne los, unterwegs zu verschiedenen einzelnen Arbeitsstellen in der Stadt. In Dreierreihe, der Offizier vorn links, so wurden sie in der Stadt gesehen. Insbesondere viele kleine Familienbetriebe, die in den Kriegsjahren oft von den Frauen oder Großvätern am Laufen gehalten wurden, bekamen auf Antrag einen oder zwei Gefangene zugewiesen. Viele Franzosen waren bei Fleischern und Bäckern eingesetzt, bekannt sind zum Beispiel: Fleischerei Krauß (Hohe Str. 10, jetzt: Fußpflege Lenk), Adler-Fleischer (Markt), Geigenmüller-Fleischer (Schulstraße, jetzt: Kunstgalerie Waldmann), Gläsel-Fleischer, Hofmann-Bäcker, Puggel-Bäcker (ggü. Schwarzer Bär), Autoschlosserei Schmidt (jetzt: Autohaus Schneider), Geschäft Hertel (Lange Straße) und weitere... Aus diesem Grund war über die französischen Gefangenen noch das meiste in Adorf bekannt. Frühmorgens wurden die Franzosen gebracht und nach dem Tagwerk wieder abgeholt. Christine Konrad, geb. Puggel, erinnert sich, dass die beiden Franzosen der Bäckerei Puggel früh um vier zum Anheizen der Backstube pünktlich gebracht wurden. Wie die Zuteilung der Gefangenen genau erfolgte, ist unklar; Gerhard Adler berichtet, seine Familie habe einen Fleischer beantragt, welcher in einem in den Moortaschen Bad Elster eingeteilten Franzosen gefunden wurde, der dann von dort in die Fleischerei Adler abkommandiert wurde. Der wohl bekannteste Franzose in Adorf war der im Kriegsgefangenenlazarett als Arzt tätige französische Gefangene, der am 6. Mai 1945 gemeinsam mit dem Adorfer Pfarrer und dem Adorfer Sparkassendirektor mit einer weißen Flagge den Amerikanern Richtung Arnsgrün entgegenging und die Stadt übergab, um den weiteren Beschuss zu beenden. Zeitzeugen berichten, dass er bereits vorher Kriegsgefangenen zur Flucht verhalf.
Zum oder nach Kriegsende sollen die Franzosen kurzzeitig noch in die Heilstätte umquartiert worden sein.

Weniger in Kontakt mit den Einheimischen hatten die in Gruppen als Arbeitskräfte eingeteilten anderen Kriegsgefangenen, die Russen und Amerikaner. Über die Russen ist bekannt, dass sie ab 1942 in einem Lager bei der Bahn in der Nähe des Maschinenhauses lebten. Allerdings müssen schon Ende 1941 Russen in Adorf gewesen sein. Wo sie genau arbeiteten, ist nicht bekannt, außer dass man sie sich zur Arbeit in der Landwirtschaft "holen konnte" (eine Arbeit, die bei ihnen beliebt gewesen sei, vermutlich weil es hierbei etwas mehr zu essen gab). Zeitzeugen berichten nur von Gefangenenkolonnen von Menschen in jämmerlichem Zustand, die gelegentlich gesehen wurden. Auf dem Adorfer Friedhof befinden sich Gräber russischer Soldaten, die meisten starben im Winter 1941/1942. Über einige der hierdurch namentlich bekannten Soldaten aus Russland gibt es konkretere Informationen. Im Jahr 1943 sollen die Russen "weggebracht" worden sein. Wohin, ist unbekannt.

Über amerikanische Gefangene war in der Stadt ebenso nicht viel bekannt, außer dass sie auch in einem Lager bei der Bahn untergebracht waren. Das stimmt, sie lebten in dem ursprünglich für die Russen errichteten Lager Am Kaltenbach, gegenüber dem Maschinenhaus. Von diesen Gefangenen konnten viele inzwischen namentlich recherchiert werden, dank der Hilfe dreier ehemaliger in Adorf inhaftierter amerikanischer Kriegsgefangener, die noch leben und die zum Teil ausführlich über ihre Erlebnisse berichten. Das Lager hieß A 97 (Arbeitskommando 97) und gehörte zum Stammlager IV-F Hartmannsdorf. (Die Zugehörigkeit zum StaLag IV-F ist auch aus den Gefangenen-Identitätskarten einiger sowjetischer Gefangenen ersichtlich.) Die hier untergebrachten etwa 80 amerikanischen Gefangenen waren in drei Arbeitsgruppen eingeteilt. Die Eisenbahnereinheit arbeitete im Maschinenhaus und wartete und reparierte schadhafte Gleisanlagen, zum Beispiel am Egerviadukt oder in Plauen nach der Bombardierung. Jeden Morgen ging es vom Bahnhof aus mit dem Zug zu den verschiedenen Reparaturstellen, die Arbeiten wurden nach Anleitung von alten Eisenbahnern ausgeführt (die jungen waren alle an der Front). Die zwei anderen Einheiten arbeiteten in der Stadt, eine in der Uebel-Fabrik, die andere in einer weiteren Fabrik (in welcher genau, ist unklar). Jeden Morgen zog der Trupp an den Gleisen entlang in die Stadt bis in die Uebel-Fabrik (der eine Trupp wurde bereits vorher abgesetzt). Berichtet wird von endlosem Kohleschaufeln, aber auch von Reparaturarbeiten an und in den Fabrikgebäuden. Abends zogen die Gefangenen mit ihrem Schienenwagen, der Verpflegung enthielt, wieder zum Maschinenhaus zum Lager. Unterwegs sammelten sie, wenn möglich, Kohlenbrocken auf, damit sie etwas zum Heizen hatten. Über den Lageralltag und die Arbeit der Gefangenen berichtet Arnold Sprong. Die Kriegsgefangenen erhielten 32 Reichsmark im Monat, ausgezahlt in Reichsmark, Rentenmark und Kriegsgefangenen-Lagergeld, dieses nutzte den Gefangenen allerdings nicht viel (außer für einen kleinen Schwarzmarkt). Vor Kriegsende gelang einigen Gefangenen die Flucht, hierüber berichtet Frederick O. Scheer. Die anderen wurden aus dem Lager weg nach Karlsbad gebracht. Die Berichte der ehemaligen amerikanischen Gefangenen finden Sie hier.

Verhältnis der Adorfer zu den Zwangsarbeitern

Darüber soll kein wertendes Urteil abgegeben werden, lediglich einige Aspekte der von Zeitzeugen berichteten Erlebnisse und Meinungen in der Stadt sind interessant. Der Fakt allgemein, dass Ostarbeiter und Kriegsgefangene Zwangsarbeit leisten mussten, wurde kaum in Frage gestellt. "Es war eben so", oder wie zu den Amerikanern nach deren Erinnerung oft geäußert wurde: "Krieg ist Krieg". Berichtet wird von verschiedensten Erlebnissen. Zum Teil wurden die Kriegsgefangenen trotz Verbot in einem gewissen Maß in die Familien integriert und erhielten Kleidung oder Essen gemeinsam mit der Familie, die Menschen wurden nach dem Verständnis vieler "gut behandelt". Nach Berichten der ehemaligen amerikanischen Kriegsgefangenen stimmte dies zum Teil, zum Teil nicht. Dass die russischen Gefangenen von ihren Bewachern am schlimmsten behandelt wurden, darüber sind sich Zeitzeugen einig. Auch andere osteuropäische Gefangene, wie Polen, wurden offenbar schlechter behandelt als beispielsweise die Franzosen. Nach dem Krieg gab es unterschiedliche Erfahrungen. Die beim Geigenmüller-Fleischer arbeitenden französischen Gefangenen hatten offenbar ein sehr gutes Verhältnis zur Familie und kehrten später mehrfach, zum Teil mit ihren Familien, nach Adorf zurück (zuletzt 2003). Als der Fleischermeister Werner Geigenmüller im Jahr 1990 starb, reiste der ehemalige, sehr gläubige Gefangene mit seiner Familie nach Adorf und betete an seinem Grab für ihn. Noch heute sind dort zwei kleine Gedenksteine der Franzosen zu finden. Die Inschrift lautet: "A notre Amie" - "Für unseren Freund".
Andere Adorfer machten aber auch gegenteilige Erfahrungen mit "ihren" Ostarbeitern oder Gefangenen. Manche berichten von späteren Diebstählen, Ausschreitungen und Schmähungen. Wie gesagt, über keines dieser Erlebnisse soll hier ein Urteil abgegeben werden.

Mit freundlicher Unterstützung von Gerhard Adler, Dr. Klaus Bahmann, Lothar Bohne, Klaus-Peter Hörr, Henriette Indyka, Christine Konrad, Harry Langhammer, Hubert Müller, Frederick O. Scheer, Inge Steinel, Albert Sprong, Gottfried Trautloff, Lissa Vieweger, Christa und Jürgen Waldmann - vielen Dank!

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von Antje Goßler, Juli 2014