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Adorf zu Kriegsende 1945 - Nach Tagebuchaufzeichnungen von Lieselotte Böhm geb. Geyh (geb. 1931)

Lieselotte Böhm war damals 14 Jahre alt, die Arztfamilie Geyh wohnte in der Elsterstraße 13. In Wohlbach hatte die Familie Geyh ein Wochenendgrundstück.

Am 15. April haben wir beschlossen, nach Wohlbach zu gehen, solange die Kampfhandlungen andauern. Nachmittags sind Nicki und ich ins Häusel gefahren, um Wäschekoffer usw. hinauszubringen. Wir sind alle gleich wieder zurück. Nachts ist Fanny losgezogen und hat alle ihre persönlichen Sachen nach Wohlbach gebracht. Und den Wohlbacher Kastenwagen und rotes Wägelchen geholt.

Montag, 16. April
Heute sind wir, ausgenommen Nicki, die als Bewachung des Hauses zurückbleibt, mit Fanny nach Wohlbach gegangen; 4 Leiterwagen bildeten die Karawane (der Wohlbacher große, den Fanny in der Nacht geholt hatte hatte, der kleine rote, die Postkutsche und das von Fanny gebaute Fahrzeug: Brett auf 4 Räden, mit Strick gezogen. So groß, daß der große Wäschekorb, gepackt mit allen Einweckgläsern und Vatis noch vorhandenen Weinflaschen – alles in Wischtücher gewickelt – drauf paßte). Mit unendlicher Schinderei – die Wagen mußten alle einzeln den Berg hochgezogen werden – kamen wir endlich bei Mondschein nach 9stündiger Tour im Häusel an.

Donnerstag, 10. April
Ich bin nach Adorf gelaufen, um Nicki nach Wohlbach zu holen.

Sonntag, 29. April
Um 21.15 Uhr schossen die Amis mit Artillerie nach Adorf. Es brannte furchtbar. Wie wir am nächsten Tag erfuhren, war es die Uebel-Fabrik.

1. Mai Nicki und ich waren in Adorf. Die Stadt ist wie ausgestorben, da sie fast dauernd beschossen wird. Der Rückweg war gefährlich. Einmal lagen wir unter MG-Beschuss am Leistersberg. Kurz bevor wir den Hermsgrüner Straßenabschnitt beschritten, wurde er vom Ami beschossen (Artillerie).

4. Mai Heute abend brannte es wieder in Adorf. Die Ausdehnung war größer als am 29. April, wo Uebel-Fabrik und Mehlthau bis Säuberlichs wegbrannten. Hoffentlich steht unser Haus (Elsterstr. 13) noch. Wir schlafen jetzt bei Beschuß im Keller.

6. Mai Adorf ist eingenommen. MG-Schüsse und Artillerie aus nächster Nähe.

9. Mai Wohlbach von Amis eingenommen. Nachmittags kommt Frau Kluge mit ihren zwei Töchtern und den blonden zwei Töchtern ihres Mannes (Halbjüdinnen). Vater ist Pfarrerssohn aus Wohlbach. Sie sind im Pfarrhaus von den Amis ausquartiert worden, um bei uns unterzukommen. Sie finden auf dem Boden Platz.

10. Mai Heute früh vier deutsche Soldaten verpflegt. Nachmittags von zwei Amis entdeckt. Sie suchten „German Soldiers“. Blieben von 15 bis 22 Uhr bei uns sitzen und waren vollständig besoffen, als sie endlich heimwankten. Sie hatten 1 1/2 Flaschen Schnaps getrunken. Eine bekamen sie von Frau Kluge, die halbe hatten sie sich mitgebracht. Die einzige Gunst, die sie uns erwiesen, war, daß sie uns Kaugummi schenkten. Ute mußte sie küssen.

12. Mai Heute waren wir in Adorf. Das Haus ist viel praktischer geworden, weil alle Türen raus sind. Eine Artilleriegranate hat die Haustürtreppe getroffen. Dadurch sind die Haus- und beide Flurtüren weg. Die Amis haben den Ostarbeitern von Uebels Plündern erlaubt. Deshalb sind alle Löffel und Messer weg, die Gabeln sind geblieben. Vatis und Muttis Kleiderschränke sind leer, unsere Kinderschränke wurden nur durchwühlt. Muttis Ballkleid lag unterm großen Schrank im Wartezimmer. 

26. Mai Nicki und Ute bringen einen Brief von Vati. Er ist in Crimmitschau in einem Ersatzlazarett und hofft, bald zu kommen. 

5. Juni Heute abend bringt doch Fanny die herrliche Nachricht mit, daß Vati in Adorf eingetroffen ist.

6. Juni Gerade zum Kaffeetrinken sind sie gekommen. Wir hatten schon das Mittagessen für sie mitberechnet. Aber Vati und Mutti konnten nicht eher kommen, da Vati ein Gesuch zur Entlassung eingereicht hat. Er ist nämlich nur bis Sonnabend früh auf Urlaub da.

7. Juli Heute abend etwa 20.15 Uhr ist Vati angekommen. Er war vollständig fertig. Teils durch die Ereignisse der letzten Tage – am Montag (2. Juli) sind in Adorf die Russen eingezogen – teils durch die Anstrengungen der Fahrt.

12. Juli Mit Sack und Pack, verstaut auf Schlesingers Pferdewagen, sind wir heute früh 10 Uhr nach vierteljährlichem Aufenthalt in Wohlbach wieder abgezogen.

Montag, 16. Juli
Vati hält wieder Sprechstunde. Nicki ist Sprechstundenhilfe geworden.

Sonntag, 22. Juli
Alle Kriegsteilnehmer mußten sich auf dem Markt stellen und wurden dann nach Oelsnitz abtransportiert. D.h., sie mußten laufen. Vati ist nur durch seinen Beruf drumrumgekommen.
Danach verläuft alles normal.

Aufgeschrieben von Gerhard Brunner, der im Jahr 1936 mit Hilfe von Herrn Dr. Geyh das Licht dieser Welt erblickte (2007, fast wörtlich dem Tagebuch entnommen)