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Ernstes und Lustiges aus meiner Kindheit und Schulzeit in Adorf/Vogtl.

Bericht aus dem Jahr 2012 von Dr.-Ing. Klaus Bahmann, von 1938 bis 1956 in Adorf (Markneukirchner Straße) und heute in Berlin lebend. Wir danken auch für die Fotos!

Als im September 1939 der 2. Weltkrieg begann, war ich gerade mal anderthalb Jahre alt, so dass meine Erinnerungen an die Kriegs- und Nachkriegszeit häufig durch Erzählungen anderer geprägt sind. Ich habe diesbezüglich folgende  Erlebnisse im Gedächtnis.
Unser Vater war zum Militär eingezogen worden, zunächst nach Gotha und später zur Flakabwehr ins Rheinland, in die Kölner Gegend. An seine Soldatenzeit haben uns Kinder – mein Bruder Günter und ich – immer zwei schöne dickwulstige Fliegerbrillen und zwei Sparbüchsen aus silbrigen Zinn in Form des Kölner Doms erinnert, die er uns wahrscheinlich anlässlich eines Soldatenurlaubs mitbrachte. Die hatten oben auf dem Dach einen Schlitz zum Einwerfen der Münzen. Das gesamte Dach mit den beiden Türmen war kippbar über Scharniere angeordnet, damit die Sparbüchse wieder entleert werden konnte.

In Adorf müssen seitens der Wehrmacht einige Transportgruppen stationiert gewesen sein, die offensichtlich die Herstellung und Verladung von Textilerzeugnissen, vielleicht Fallschirm-seide oder ähnliches, als kriegswichtige Güter überwacht und geregelt haben. Denn wir Kinder wollten immer gerne auf den unbewaffneten Militärfahrzeugen, die zwischen der Uebels-Fabrik und dem Güterbahnhof verkehrten, mitfahren. Damit uns die Soldaten auf den lang gestreckten offenen Mannschafts- und Transportwagen mitgenommen haben, „zweigten“ wir von Vaters zu Hause gelagerten Zigaretten einige ab und schenkten sie den Fahrern.
Vielleicht erklärt sich auch der Tieffliegerangriff auf den Güterbahnhof am Ende des Krieges mit diesen Wehrmachtsaktivitäten. Dabei retteten sich die Leute, die mit ihren Handwagen gerade Holz oder Kohlen holen wollten, schnell unter die Waggons. Mein Bruder und ich waren da auch dabei. Möglicherweise hat es außer Verletzten auch Todesopfer gegeben. Das wissen wir nicht mehr so genau.

Ansonsten standen mal für längere Zeit einige Eisenbahnwaggons mit einer Vierlingsflak auf dem Abstellgleis in Richtung Siebenbrunn / Markneukirchen, genau hinter unserem Wohnhaus. Bei dieser Truppe war der Wolfram Alfred stationiert, der mit seiner Familie bei uns im Erdgeschoß des Pöschl-Hauses in der Markneukirchner Straße 10 wohnte.

Unterhalb der Adoros-Teppichwerke bzw. Claviez-Fabrik gab es ein Barackenlager, das – wie man erzählte – zu den Heinkel-Flugzeugwerken gehörte oder für diese als Zulieferer fungierte. Dort waren so genannte Ostarbeiter und Kriegsgefangene beschäftigt, die hinten am Kaltenbach in einem Bahngebäude untergebracht waren und jeden Morgen in Holzpantinen runter zu den Baracken in die Elsterwiesen marschiert sind.

Als es auf das Kriegsende zugegangen ist, kam Adorf noch kurz unter Beschuss. Die Amis hatten Adorf auf den umliegenden Höhen umlagert, trauten sich aber in die Stadt nicht hinein. Sie verlangten vom Stadtkommandanten der Wehrmacht, die Stadt aufzugeben und stellten ihm eine Frist. Der Stadtkommandant namens Feierabend, der ein richtiger Nazi gewesen sein soll, gab aber Adorf nicht auf, so dass von der Arnsgrüner Höhe und dem Freiberger Berg her ein Artillerie-Beschuss auf die Stadt begann.
Wir – meine Mutter, mein Bruder und ich – müssen gerade zu Fuß vom Eierholen bei Bauern in Leubetha zurückgekommen und zunächst zu den Großeltern gegenüber in das Baugenossenschafthaus gegangen sein, als es plötzlich laut krachte und irgendwo in der Nähe einschlug. Mein Großvater Albin guckte zum Fenster raus und rief gleich, dass es bei uns drüben im Haus eingeschlagen hat. Tatsächlich klaffte oben in der fensterlosen Giebelwand ein Loch von etwa 2 m Durchmesser, und es stieg Rauch und Staub auf. Das Mauerloch lag genau in der Höhe, wo in Pöschls Wohnung die ostpreußische Flüchtlingsfamilie Dakin mit mehreren Kindern untergebracht war. Wir wohnten darunter. Als wir uns dann rüber trauten, sah man das Ausmaß näher. Wie ein Wunder ist der Familie nichts passiert, obwohl der jüngste Sohn genau gegenüber dem Einschussloch auf einem Sofa saß.
Angeblich soll ein französischer Arzt oder Kriegsgefangener kurz vor Ablauf eines weiteren amerikanischen Ultimatums mit einer weißen Flagge in der Hand die Arnsgrüner Straße rauf gegangen sein und Adorf sozusagen übergeben haben. Der Stadtkommandant, dessen Auto beim erwähnten Tieffliegerangriff beschossen und beschädigt wurde, soll kurz vorher mit einem Seitenwagen-Motorrad geflohen sein.

Bereits lange vorher richteten wir uns zum Schutz vor dem Beschuss oder eventuellen Bombardierungen im Keller ein. In unserer langen Zinkbadewanne hatten wir mit Decken und Kissen eine Art Bett gebaut, wo wir Kinder öfter drinnen lagen. Außerdem wurde neben den Kartoffelkisten und Einweckgläsern noch weitere Esserei – soweit vorhanden –  im Keller gelagert. Da hat es dann gelegentlich ein Stück Aschkuchen oder Stollen aus einem Blechkarton gegeben. Ab und zu gingen wir mal die Kellertreppe hoch und schauten zur Hintertür hinaus, wie die Lage ist. So kriegten wir auch von den anglo-amerikanischen Bombergeschwadern mit, als sie in Richtung Plauen und Dresden flogen. Als Plauen bombardiert wurde, leuchtete abends der Himmel hell auf. Man sagte, dass die Flugzeuge brennende Phosphor-Weihnachtsbäume abwerfen würden, um für die Bombardierung nachts besser sehen zu können und die Stadt in Brand zu setzen.
Eines Tages klopfte es an die obere Kellertür. Sie öffnete sich und mein Großvater Albin, der sich über die Straße getraut hatte, rief zu uns runter: „Kommt nur rauf! Ich hab’ ihnen schon paar Eier gegeben!“ Gemeint waren die mit Panzern eingerückten Amerikaner.
Vorher waren die aber auf dem Bürgersteig der Markneukirchner Straße bis zu uns vorgefahren und sind vom Panzer aus durch die Fenster der Schlafstube in unsere Wohnung eingestiegen. Hinterher stellten wir dann fest, dass sie wahrscheinlich nach Wehrmachtssachen suchten. Eine Feuerwehr-Schirmmütze meines Vaters, die im Kleiderschrank lag, hatten sie raus genommen, auf die Straße geworfen und dann mit dem Panzer darüber fahrend zermalmt.
Zu allem Übel bemerkten wir erst später, dass sie unsere beiden Fliegerbrillen „mitgehen“ ließen. Im Nachttisch lagen nur noch die leeren Schachteln, worauf sie den Ami-Stern gemalt und New York darunter geschrieben hatten.
Von der viel gerühmten Großzügigkeit der GI’s gegenüber Kindern haben wir zunächst auch nicht viel verspürt. Wir standen auf der Markneukirchner Straße neben ein oder zwei Panzern, guckten lächelnd hoch zu dem uniformierten Neger und warteten vergebens auf Schokolade oder Kaugummi. Die hatten sich wahrscheinlich vorher schon verausgabt. Später, als die Amis ihre Panzer in der Einfahrt der Claviez-Fabrik stationierten, haben sie uns dann doch Schokolade durch den Zaun bei der Adler-Oma in der Kolonie rübergereicht.
Die amerikanische Besatzungszeit war relativ kurz. Irgendwann waren dann die Russen – die Rote Armee – da. Die richteten sich auf Dauer bzw. längere Zeit ein.

So wurde aus dem ehemaligen Finanzamt in der Oberstadt von Adorf die sowjetische Kommandantur. Die Bewohner, so z. B. auch mein Onkel Arno, wurden aufgefordert, ihre höherwertigen Super-Radioempfänger abzugeben. Möglicherweise betraf es auch Fahrräder und Fahrzeuge.
Manchmal zog eine Abteilung sowjetischer Soldaten marschierend und laut singend durch die Stadt. Natürlich konnten wir den Text nicht verstehen und wunderten uns, warum die immer  von der Leberwurst singen. Das ging dann so: 

             Die Leberwurst , die Leberwurst. Ja, ja, die Leberwurst!

Erst später, als ich mit der russischen Sprache vertraut wurde, fand ich heraus, dass das im Russischen folgendermaßen lautet:
Smeleje v boy, smeleje v boy…! Also: Tapfer zum Kampf, tapfer zum Kampf…! Und nichts mit der Leberwurst.

Mein Vater war mittlerweile aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt. Es sprach sich bei den Sowjets schnell herum, dass ein gewisser Bahmann Albert ein „Mastr motoziklov“ sei, also Auto- und Motorradschlosser, denn es tauchten auch gleich die ersten „Kunden“ auf. Die genauen Namen der beiden Iwan-Stammkunden mit ihrem Krad habe ich leider vergessen und weiß nur, dass wir zu einem „Zapzerap“ sagten, was angeblich soviel wie „Klauen“ bzw. Stehlen heißen sollte. Ansonsten haben sie sich uns gegenüber anständig benommen und brachten auch immer mal was mit. Ich glaube aber, dass sie sich vor ihrer „Natschalstvo“-Chefschaft sehr vorsehen mussten, denn eigentlich durften sie keinen privaten Umgang pflegen. Die beiden müssen einen unteren Offiziersrang innegehabt haben.   

In dieser Zeit – unmittelbar vor und nach dem Kriegsende – muss unsere Grundschulzeit kurz unterbrochen gewesen sein, denn eingeschult wurde ich ja noch im Jahre 1944.
An meinen Schulanfang kann ich mich noch insoweit erinnern, dass wir alle in der Aula der neuen Schule in Adorf saßen und beim Aufrufen der Namen mein Nachbar – der Sehliger Eberhard – anfing zu heulen oder wie man im Vogtländischen sagt: „graine“. Er hat grinne. Da kann man mal sehen, wie verwandt das Vogtländische mit dem Englischen ist, denn die Engländer sagen ja auch „crying“, bloß nicht ganz so Sächsisch wie wir.

Wenn ich über meine Kindheit und Heimat erzähle, verfällt man unweigerlich in die Aussprache, wie sie früher zu hören war und mehr oder weniger von einem selber praktiziert wurde. Obwohl, den echten vogtländischen Dialekt – wie: Wou de Has’n Hos’n haaß’n un de Hos’n Hus’n – haben wir auch nicht gesprochen.                           
                    
Aus der Schulzeit erinnere ich mich noch recht deutlich an unseren prima Mathe-Lehrer, Herrn Rudolf Winkler, aus Bad Elster, der uns in den letzten Schuljahren bis zur 8. Klasse unterrichtete. Er kam auch anlässlich unserer Goldenen Konfirmation zum Klassentreffen ins Landhaus und sah fast genau noch so aus wie vor 50 Jahren.
Auch unsere junge hübsche Lehrerin, Frau Jehmlich, ist mir noch in guter Erinnerung. Sie war der Schwarm aller Jungs. Leider kam sie nicht zum Klassentreffen.
In Deutsch und Musik hatten wir die „Tietzen Martha“ –  eine ältere Dame, die noch gelegentlich den Rohrstock zum Bestrafen der Schüler benutzte. Den bekam ich mal zu spüren, als ich ihre Geige aus dem Klassenschrank holen musste und hinter ihrem Rücken diese ansetzte und ihr Geigenspiel nachäffte, was sie natürlich bemerkte. Man musste die Innenhand ausstrecken und sie schlug dann mit dem Rohrstock auf die Finger. Trotzdem war sie eine gute Lehrerin.
Dann gab es noch einen Herrn Kriegel aus Markneukirchen, der auch noch mit der Prügelstrafe arbeitete. Er benutzte aber keinen Rohrstock, sondern nahm das Holzlineal und haute auf die Fingerkuppen.
Unterhalb der neuen Schule waren die Turnhalle und ein Sportplatz-ähnlicher Schulhof, auf dem in der Pause öfter mal Fußball gespielt wurde. Einmal bolzten wir gegen eine ältere Klasse, in der sich mein Bruder Günter und ein gewisser Peter Frisch befanden.
Irgendwann muss der Peter Frisch nach den Westen gegangen sein, denn er tauchte später drüben – man höre und staune – sogar als Präsident des Verfassungsschutzes der BRD in Köln auf. Nach der Wende hat er sich zu einem Klassentreffen in Adorf wieder eingefunden, aber dann schon als Pensionär, wie mir mein Bruder erzählte.

Was hat doch das Vogtland für berühmte Leute hervorgebracht?!
Vom Gründer des Berliner Tierparks, Prof. Heinrich Dathe, über den ehemaligen Direktor des Friedrichstadtpalastes, Iljinski, bis zur beliebten Volksmusik- und Schlagersängerin, Stefanie Hertel  –  alle stammen aus dem Vogtland. Aber der bekannteste Vogtländer ist und bleibt wohl der erste deutsche Kosmonaut, Siegmund Jähn, aus Morgenröthe-Rautenkranz. Allerdings zählen die Erzgebirgler diesen Ort häufig zu sich gehörend, was aber nicht stimmt, denn die Grenze zwischen Vogtland und Erzgebirge verläuft hinter Morgenröthe-Rautenkranz in Richtung Eibenstock.
Die Erzgebirgler sollten lieber auf ihr Schwarzenberg aufpassen, damit diese Stadt sich nicht mal wieder zu einem freien unabhängigen Staat erklärt. Das hat sich wohl so zugetragen. Nach dem 2.Weltkrieg wurde Schwarzenberg sowohl von den Amerikanern als auch von den Russen vergessen, einzunehmen und zu befreien. Das nutzten die Stadtväter und riefen eine eigene freie Republik aus, druckten eigenes Geld und eigene Ausweise. Es soll kein Scherz gewesen sein. Dieses Bestreben des „mürrischen“ Bergvolkes flammt im Stile des legendären Karl Stülpner immer mal wieder auf. 

Mein erster kindlicher Berufswunsch war, einmal Milchhofdirektor zu werden.
Der kam ursprünglich daher, dass mein Vater dem Direktor des Milchhofs draußen in der Markneukirchner Straße, kurz vor dem Talschlössl, manchmal sein Auto oder Motorrad reparieren musste. Dafür bekamen wir dann öfter ein Paket Quark oder frische lose Butter. Dies hatte in der Zeit nach 1945 sehr großen Wert.
Aus dem Quark hat dann meine Mutter unter anderem so genannte „Quärchle“ gemacht. Das sind handgeformte Käschen wie flache Klopse, aber eben aus frischem trocknen Quark mit Salz, Pfeffer und viel Kümmel. Die wurden auf ein Holzbrett gelegt und mit Pergamentpapier abgedeckt und auf den Küchenschrank gestellt. Dort lagerten sie ein bis zwei Wochen in der wohligen Wärme der Küche bis sie langsam „huset“, also käsig geworden sind. Danach schichtete man sie in einen Steintopf, der mit einem Tuch zugebunden wurde. Man musste nur aufpassen und sie rechtzeitig essen, ehe sie „laafet“, also fließend, oder sogar „beisig“ geworden sind. Wehe dem, es kamen Fliegen dran! Dann konnten die Quärchle schon mal lebendig werden.

Eine weitere Berufsorientierung gab mir der Seidel-„Bäck“, als ich bei ihm in der Backstube ausgeholfen habe. „Klaus, Du musst unbedingt Tierarzt werden! Denn, der Kuh einmal ins Arschloch langen, bringt schon sieben Mark!“
Auch mein Großvater – der Albin Bahmann – gab mir beim Holzhacken im Hof hinterm Haus tierische Ratschläge: „Pass auf, dass die Ziege nicht zuviel Sägespäne frisst, sonst scheißt sie morgen Bretter!“

Wenn ich einmal bei diesen Kuriositäten bin, muss ich noch was über bekannte Adorfer bzw. Vogtländer, wie den Forner- „Iesel“, die Rascher-Minna, den Scherzer-Albin aus Leubetha und den „Spalken“-Fred aus Raun, berichten.

Auch der Scherzer-Albin hat Holz hinter’m Haus gehackt. Weil aber wenig Platz war, flog ein Scheitel Holz durchs Fenster, also: „des is neig’fluung in die Küch’n, wo sei’ Fraa, de Anna, g’handiert hot. Mein Gott, hot die g’spukt, wos des Zeich hält: „Du Briehnisch’l, du oalter Daamlack“ hoat’se ze ihm g’soggt. „Etze mach’ner kaa Brieh und hör endlich mal auf“, sagt der Albin. „Iech schaff nochert des Fenster glei nunter zum Tischers Max, der mö’ halt e neie Scheib neimach’n“.
„Haa, schreit die Anna, be uns fellt es Geld ve uum rei“.
„Dös wer’mer scho noch bezohl’n kenne“, antwortet der Albin und tut dann g’scheit daherreden. „Itze pass iech ober beim Holzhacken besser auf, denn es heißt ja auch: Durch klugen Schaden wird man schon!“

Im Vogtland ist es so üblich gewesen, dass zur Kennzeichnung der Person an ihren Familiennamen noch der Beruf angehangen wurde. Also – wie gesagt – der Seidl-„Bäck“ oder z.B. der Neudel-Schuster, der Adler-Glaser, der Jäger-Uhrmacher oder der Martin-Fleischer. Manchmal wurde aber die Berufsbezeichnung oder Tätigkeit auch vorangestellt, wie z.B. der Elektro-Pfretschner, Foto-Galsterer, Lumpen-Hetzsch, Eisen-Kolbe oder der Fahrrad-Wohlfarth.
Und bei ganz besonderen oder originellen Typen verknüpfte man auch den Spitznamen mit dem Familiennamen. Also – der Forner-„Iesel“. Der Forner war Bäcker, und er hat sein Brot gelegentlich mit Wagen und Esel zu den Kunden ausgefahren. Die „alten“ Adorfer haben ihn dann auf der Straße folgendermaßen begrüßt: „Guten Tag, miteinander!“ Fortan hieß der Forner: Forner-„Iesel“.

Ein noch größeres Unikum im oberen Vogtland war der „Spalken“-Fred, der oft kräftige Sprüche „rausgehauen“ hat. Über ihn werden viele lustige Geschichten erzählt. Einmal ist er mit seinem Fahrrad von Raun nach Adorf gefahren und wurde von der Polizei angehalten. „Halt! Absteigen! Sie haben an ihrem Fahrrad kein Rücklicht“, sagt der Polizist.
„Na, sur wos“ – antwortet der „Spalken“-Fred, „das war doch grad noch dran am Schutzblech“!? – Pause –
„Da muss ich dees Rücklicht grad verlor’n hob’m“, sagt der „Spalken“-Fred.
Darauf der Schutzmann: „Lügen sie mich nicht an! Da war noch nie eins dran! Es ist ja noch nicht mal ein Loch im Schutzblech zu sehen!“
Da sagt der „Spalken“-Fred ganz verdutzt zum Polizeier: „Na, da muß ich des Luoch aach mit verlor’n hob’m!“

Aber wir brauchen gar nicht so weit zu gehen, auch in unserer Nachbarschaft in der Markneukirchner Straße hat sich manch Lustiges zugetragen.
Sagt die Frau mit dem schönen Namen Ficker zur Rascher-Minna: „Minna, hast heit Nacht des G’witter g’hört? Das hat aber donnert und kracht!“
„Naa“, sagt die Rascher-Minna, „mir schloafen hinten naus!“
Die Rascher Minna war auch immer die Erste auf der Straße, wenn ein Pferdewagen vorbei fuhr und Kohlen verloren hat. Sie sammelte aber nicht nur die Brikett ein, sondern noch viel lieber die „Pferdeäpfel“, um die Erdbeeren zu düngen.

Kein Wunder, dass solche lustigen Erinnerungen ihren Niederschlag in Schnaderhüpferl ähnlichen Liedern finden, wie sie dann auf unseren traditionellen Bahmann-Familientreffen erklingen.
 
Z` Vuogtland  is  schäi
Musik:    nach der Melodie „Das Dürrngrüner Lied“,   Text:    Klaus Bahmann
Refrain:  Z` Vuogtland is schäi, dös mej ma g`stäih.

1.  In Raun, do is heit e grouß G`wihl,
     de Bahmann-Sipp trifft sich in d`r Mihl.
     Alle zwoar Goahr, kumme se do her,
     da`ham bleim de Stuob`m allweil leer.

2.  De Bahmänner wuoh`ne in Ost und West,
     ob Groußstoadt od`r in`nern Nest.
     Druob`n von d`r Nordsee bis noach Süd,
     oalle hob`m se e guats G`müt.

3.  Ne Vuogtländer zieht`s hinaus in de Welt,
     obwohl`sn daham immer wieder g`fällt,
     ob noach Berlin und überall,
     d`r Sigmund Jähn flog sogar in`s All.

4.  Bekannt is in Vuogtland d`r Vugelbeerbaum,
     in Auerbooch neierdings a`h e Maschendrahtzaun.
    Alles hoat g`schriern, alles hoat g`lacht,
    woas Frau Zindler fo`re G`sicht hoat g`macht.

5.  Oaber it`ze is`e Streit ausbrochen,
    wer koa ne besten Sauerbroaten kochen?
    Eig`legt in Buttermilch oder Marinade,
    vorm G`richt wird g`stritten viele Jahre.
 
6.  Im Rauner Grund, wo d`r Wind suo weht,
     do gab`s  en Verrickten, der haast Spalken-Fred.
     Uohne Licht is`ser or`gradelt kuomme,
     hoat`n de Polizei glei` festg`nomme.

7.  „Dös gibt`s fei net“, gibt dr Spalken-Fred oar,
     „e Lamp woar groad noch am Schutzblech droar.“
     Tun`s net lüg`n, aach e Luoch fehlt fei,
     „doa mös i dös aa miet verlor`n hoab`m derbei.“

8.  In Oadorf goab`s e`mol e schlimme Nacht,
     doa sei de Leit aolle aufg`wacht.
     Alles hoat g`schriern, alles hoat g`zittert,
     weil`s in Oadorf laut hoat g´wittert.

9.  Ne nechsten Frieh hoab`m se alle drüber g`redt,
     de Rascher Minna loag fei noch im Bett.
     „Hoast`s denn g`hört, den Sturm und Braus ?“
     „Naa“, soagt de Minna, „mir schloafen hinten naus !“

10. Neilich bie iech in`ne Wald neigange,
     in Suohl, mit ne Hermann, in de Schwamme.
     Weil m`r fei net viel hoab`m g`funne,
     hoab`m m`r alles mögliche g`numme.

11. Ne Schwefelkopf, den nimmst m`r fei,
     pass oaber auf, denn grau mös`r sei.
     Den Hexen-Röhrling loass net stieh,
     dös gibt e goute Schwamme-Brieh.

12. Vor Angst hoa iech se drassen alle glei putzt,
      d`rham schnell g`schnieten und net rumgedruckst.
      Glei in de Pfanne, koann watter g`fregt,
      niemand hoat`s g`merkt, allen hoat`s g`schmeckt.

13. E Goahr drauf später, hoa iech`s dann erzählt,
      als de Eig`frorne a niert hoab`m g`bläht.
      Alle hoab`m g`schriern, vor Lachen zerrissn,
      miech hätt`ns doamals samt de Schwamme naus g`schmissn.

14. D´r Vuogtländer isst gern griene Glös,
      bei G´backne aus d`r Pfanne, is`r a niert bös.
      Dazu Roladen, Rotkraut un viel Sos,
      ah Schweinsripple u Meerrettich senn gout fir de Noas.    

15. Nu is oaber Schluß mit un`nern Lied,
      sonst grieg`n m`r glei wieder Appetit.
      Ne Wirt, den wird`s scho Angst u Bang,
      wenn m`r zu essen wieder o`fange tann.


Apropos Gewitter, Blitz und Donner, die es im Vogtland kräftig und häufig gab. Uns Kindern hat man immer gesagt: Wenn ihr nach dem Blitz die Sekunden bis zum Donner zählt, dann wisst ihr, dass das Gewitter soviel Kilometer weit von euch weg ist wie ihr Sekunden gezählt habt. Erst später habe ich mal nachgerechnet und festgestellt, dass das gar nicht so stimmt. Das Licht des Blitzes sieht man wegen seiner hohen Geschwindigkeit mit 300 000 km/s praktisch unverzögert, sofort. Der Schall des Donners dagegen legt in der Sekunde nur 340 m zurück, so dass man ihn viel später hört – soweit, so richtig. Daraus ergibt sich aber für die Entfernung des Gewitters mit d = v • t , dass der Schall für einen Kilometer etwa 3 s braucht.  Hört man also den Donner erst 3 s nach seinem Blitz, so ist das Gewitter noch etwa 1 km entfernt und nicht 3 km. Es stimmt eben nicht immer, was die Alten so alles sagen!  

Neben der Grundschulzeit war für uns Kinder natürlich die Hausarbeit noch prägend – also das Mithelfen im „Haus und Hof“ im Sinne einer gewissen notwendigen Selbstversorgung in der damaligen Nachkriegszeit.
Ziegen hüten, Gras mit dem Handwagen holen, Heu machen, die Pflanzen im Garten mit Wasser aus dem Schwarzbach gießen, Rüben oder Kartoffeln graben, Holz aus dem Wald holen, sägen und hacken usw.
Wir Buben –  mein Bruder Günter und ich – mussten ganz schön ran.
Zur Erhaltung unserer Kleinvieh-Wirtschaft mit zwei Ziegen und mehreren Hasen bewirtschafteten wir neben unserem Kleingarten in der Mehltau noch diverse Straßenböschungen im Tetterweintal in Richtung Freiberg und an der Hauptstraße nach Siebenbrunn / Markneukirchen. Das Mähen des Grases mit der Sense an der schrägen Böschung fiel dem Vater und uns gar nicht so leicht. Getrocknet wurde es dann auf  angrenzenden Wiesen.
Da mein Vater nicht nur Autos, Motorräder, Fahrräder und Nähmaschinen fachmännisch reparieren konnte, sondern auch Landmaschinen instand setzte, war er bei den Bauern auf den nahe gelegenen Dörfern sehr gefragt. Die Bauern gaben ihm für die Arbeit meistens Naturalien in Form von Getreide, Kartoffeln, Eier, Fleisch und dergleichen lebensnotwendige Dinge. Wir Jungs sind gerne mit aufs Dorf gegangen, denn da gab es dann öfter was Gutes zum Essen.

Unser erstes Akkordeon – übrigens, es befindet sich heute im Heimatmuseum Adorf/V. – konnten wir deshalb im Tausch gegen Getreide und eine junge Ziege in Zwotenthal bei Klingenthal kaufen – so nach dem Motto im singenden Klingenthaler Dialekt:
„Hab’m se net paar Erdäppel, krieg’n se aa e Schifferklavier dafür!“ 
Darauf erlernten wir dann das Akkordeonspielen beim Thomä Herbert, wo die Unterrichtsstunde  1,50 Mark kostete. Aber das regelmäßige Üben zu Hause war ja kostenlos.
Als angenehme Folge davon zeigte sich später das Musizieren in kleinen Schulgruppen, Kapellen oder Tanzorchestern. Bei öffentlichen oder geschlossenen Veranstaltungen verdiente man da schon mal 5,50 Mark pro Stunde, wobei 50 Pfennige / h als Steuer abgezogen worden sind. Von dem auf diese Art verdienten Geld konnte ich mir bald meinen ersten Wintermantel selbst kaufen.

Gelegentlich ist bei den Selbstversorgungs-Arbeiten auch mal ein Malheur passiert, an das man heute noch denkt. So z.B. als mein Bruder die Brotmarken verloren hat. Oder – ein andermal sind Günter und ich mit dem Roßbacher „Mockl“-Zug bis ins Tetterweintal gefahren, um dem Vater und anderen Helfern beim „Holzrausmachen“ Essen und Trinken zu bringen. Aber, oh Schreck, wir haben im Zug den Rucksack liegen lassen und schrieen so laut, dass der Vater dachte, es wäre was passiert. Ob der Zug noch mal angehalten hat, weis ich heute nicht mehr. Wahrscheinlich hat jemand den Rucksack zum Fenster rausgeworfen oder er ist bis Rossbach weiter und dann wieder zurück nach Adorf gefahren.  

Apropos Holzrausmachen. Zum Heizen des Küchenherdes und kleinen Kanonenofens, des Wohnzimmerofens und des Heizkessels im Waschhaus wurde viel, viel Holz gebraucht, denn die Kohlen waren knapp. Deshalb mussten wir häufig in den Wald gehen, um Holz zu sammeln. Die Wälder sahen aber wie leergefegt aus, im Gegensatz zu heute, wo alles liegen bleibt. Manchmal blieb uns nichts anderes übrig als einen kleineren Baum, selbst wenn er grasgrün war, mit der Handsäge zu fällen, um wenigstens was mit nach Hause zu bringen. Die Schnittfläche wurde mit Erde beschmiert, um den Eindruck zu erwecken, dass es sich um altes Holz handelt. Zusätzlich deckten wir die Stämme auf dem Handwagen mit Reisig zu und setzten uns am liebsten noch oben drauf, damit der Diebstahl verschleiert wurde.
Professioneller ging es dann schon beim „Stöcke rausmachen“ zu, also das Roden von Stubben. Nein – nicht etwa mit Dreibock und Flaschenzug, sondern mit Sprengstoff. Unter jeden Stubben wurde in ein Loch eine Sprengstoffpackung gestopft, verdrahtet und nach kurzen Signalhorntönen der Zündhebel betätigt. Die gewaltigen Fichtenstubben flogen mit lautem Krachen hoch in die Luft. Manchmal musste man aber auch noch nachhelfen, sie aus der Erde zu bringen. Mit einem LKW wurde dann das verwundene, aber kernige Wurzelholz nach Hause transportiert. Allerdings war das Sägen und Zerkleinern echt mühsam. Da schmeckte dann ein Stück Schwarzbrot mit Speck, Pfeffer und Salz umso besser.

Als eine recht mühsame Angelegenheit stellte sich das Sammeln von Beeren im Wald heraus. Wenn so im Juni /Juli die Schwarzbeerzeit anbrach oder im Spätsommer die Preiselbeeren reif wurden, mussten wir Kinder zusammen mit der Mutter und der Adler-Oma aus der Kolonie 4c „in die Beeren gehen“, wie man bei uns zu Hause zum Beerenpflücken sagte. Meistens gesellte sich noch die Geipel Emma, eine Schwägerin meiner Großmutter, dazu. Dann wurde es auch immer lustig, denn die Geipel Emma machte mit uns Kindern gerne Spaß. Treffpunkt war das Eisenbahn-Maschinenhaus, auch Lokschuppen genannt, unterhalb vom Adorfer Bahnhof. Die Adler-Oma und die Emma kamen zu Fuß entlang der Oelsnitzer Straße, durch die Elsterwiese und einen schmalen Röhrentunnel im Bahndamm hoch zum Waldwege-Abzweig. Wir kamen zu Fuß den Kaltenbach entlang und durch den so genannten Birkenwald zum Treffpunkt.
Der erste Höhepunkt stellte sich dann ein, wenn gerade eine große Lokomotive auf der Drehscheibe zu sehen war, gedreht und bereitgestellt wurde.
Dann ging es bergauf in den Wald. Die Schwarzbeeren, auch genannt Blau- oder Heidelbeeren, konnte man schon in den nahe gelegenen Hochwäldern mit viel „Beerkraitrich“ finden, wohingegen die Preiselbeeren eher auf sonnigen Niedrigwaldhängen gewachsen sind. Die ergiebigsten Stellen lagen in der „Eisenleite“, die zu erreichen schon einen Fußmarsch von einer Stunde in Anspruch nahm.
Jeder von uns hatte beim Pflücken einen 1-Liter-Krug zum Einfüllen der Beeren und wenn man ihn „vollgebeert“, also gefüllt hatte, war man schon gut. Die wurden dann in ein größeres Gefäß geschüttet und es ging vom Neuen los.
Es gab auch Zeiten, wo der Ertrag nicht so groß war. Dann schämte man sich, mit viertel oder halb vollem Krug nach Hause zu kommen. Um die Nachbarn bisschen zu ärgern und sie zu veranlassen, zu sagen: „Aoch, die ham ober wieder viel gfunne!“ stopften wir unten in den Krug das „Beerkraitrich“ hinein und oben drauf die wenigen Beeren, die wir gefunden hatten.
Von unseren Sohler Verwandten erzählte man ganz andere Sachen. Die sollen die Beeren nicht mühsam mit den Fingern einzeln gepflückt haben, sondern „arbeiteten“ mit einem Kamm und schafften die Beeren eimerweise nach Hause.

Ähnlich ging es mit dem Pilzesammeln zu. Jeder „Schwammeförster“ hatte so seinen Schwammewald. Uns zog es meistens in den Wald, den wir Wasserleitung nannten, weil sich dort ein Wassereinzugsgebiet mit sichtbaren Brunnen-Erhebungen befand. An einer bestimmten Stelle gab es einen Waldflecken mit dichten niedrigen Fichtenbäumen – wir sagten „Dickicht“ dazu – zwischen denen einzelne Birken wuchsen. Und da gab es die herrlichsten Birkenpilze, sprich Rotkappen. An guten Tagen hätte man gut und gerne einfach die Baumreihen nacheinander ablaufen können, um möglichst alle Pilze einzusammeln.
Den Wald kannte natürlich auch unser Nachbar. Jetzt kam es nur darauf an, wer früher aufsteht und draußen im Wald ist.
Die Rivalität zeigte sich dann auch darin, wie viele Kuchenbretter voll Pilze man zum Trocknen aufgeschnitten hat. Der Nachbar legte aber immer die madigen Pilze mit drauf, was man an den durchlöcherten Scheiben gut erkennen konnte.
Übrigens, das Waldgebiet um die Wasserleitung war für uns Kinder auch die Standardstrecke zum Skifahren im Winter, denn auf dem Weg dorthin gab es drei in Waldschneisen eingebettete, natürliche Streckengebilde: die Sprungschanze, die Himmelsleiter und die Linkskurve.

Aber auch der organisierte Sport war für uns ein interessantes Betätigungsfeld.
Neben unserem schulischen Sport in Adorf und später in Oelsnitz sind wir Jungs abends gerne zur Turnstunde in die Curt-Mittag-Halle gegangen. Wir hatten ja auch namhafte Turner im Ort, wie den ehemaligen DDR-Meister am Reck, Leopold Frenzel oder den Gottfried Stark, der später an der DHFK in Leipzig studierte und Professor wurde.
Der Vorteil dieser Übungsstunden bestand auch darin, dass man dann beim Schulsport u. a. schon den Felgaufschwung und die Kippe am Reck konnte. Neben den Männern guckte man beim Turnen aber auch schon auf die Mädchen und Frauen, mit denen wir gerne zusammen „übten“.

Mein Vater war als gelernter Autoschlosser natürlich auch ein begeisterter Motorsportler und fuhr in seiner Jugendzeit selbst Motorradrennen. Später ist er dann gemeinsam mit uns Söhnen öfter zu Rennveranstaltungen, wie das Schleizer Dreieckrennen oder auf den Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal gefahren.
Da hat sich mal folgendes zugetragen. Natürlich kleidete man sich für ein solches Rennen auch zünftig. Ich durfte die Motorrad-Lederjacke meiner Mutter anziehen. Da diese nun schon etwas älter war, wurde sie vorher kräftig mit brauner Schuhcreme eingeschmiert. Viele Menschen drängelten in der Eisenbahn und neben mir saß – eng aneinander gedrückt – ein Herr im hellen Trenchcoat-Mantel. Als wir in Hohenstein-Ernstthal ausgestiegen sind, haben wir die Bescherung gesehen. Mein Vater sagte nur noch: „Schnell weg!“

In der damaligen Zeit war Fußball auch schon ein beliebter Sport, aber nicht so fanatisch wie heute. Die Adorfer Fußballmannschaft hieß „Fortschritt Adorf“ und spielte in der Kreis-, aber auch hin und wieder in der Bezirksklasse. Neben dem eigentlichen Spiel erwies sich für uns Kinder auch das Umfeld als sehr interessant. So machten wir uns immer lustig über einen 2 m-Mann mit Holzbein bzw. steifem Bein. Er hieß Rudolf Ebert mit dem Spitznamen „Floßbach-Kapitän“, weil er hinten am Floß- bzw. Schwarzbach wohnte und darauf manchmal selbstgefaltete Papierschiffchen schwimmen ließ. Der konnte sich beim Fußball so begeistern, dass er als Zuschauer im Geiste regelrecht mitspielte. Wegen seines langen steifen Beines sah das besonders komisch aus, und er brauchte immer viel Platz, um das Bein zu schwingen. Später, als er schon mit Stock ging, hat er dann noch den Stock geschwungen. Sein Lieblingsruf lautete mit tiefer Stimme: „Schiedsrichter ans Telefon!“

Über den Adorfer Fußball berichtete mir mein Cousin Gottfried Wenzel noch folgendes. Wenn Adorf gegen Oelsnitz gewonnen hatte, ist der Fietzen Otto, der uns gegenüber in dem Baugenossenschaftsgebäude wohnte und Lokführer bei der Bahn war, seinen Zug entlang gegangen und beschriftete jeden Wagen mit Kreide: „Adorf – Oelsnitz 3:1“. In Oelsnitz ist er dann mit laut pfeifender Lok in Schrittgeschwindigkeit durch den Bahnhof gefahren.

Nun noch etwas zur Musik.
Als ein relativ einfach erlernbares Instrument stellte sich die Schalmei heraus, die nur in einer festen Dur gestimmt ist und keine zusätzlichen halben Töne besitzt, so dass auch gelegentlich der Name „Hupenkapelle“ verwendet wird und angebracht ist. Es klingt eben bisschen „schräg“.

Die Adorfer Schalmeienkapelle mit seinem Leiter Reinhard Schreckenbach, in der ich das Melodieinstrument Oktav-Schalmeie und später das virtuosere Piccolo-Instrument spielte, wurde auf dem Deutschen Turn- und Sportfest 1954 in Leipzig sogar DDR-Bester.
Als wir an den III. Weltfestspielen der Jugend in Berlin teilgenommen haben und in der Nähe des Ostkreuzes auf einem Dachboden auf Strohmatten untergebracht waren, versagten am nächsten Tag die meisten Schalmeien, weil sich die Ventile mit Strohstaub zugesetzt hatten. Nun musste erst mal gereinigt werden.
Reinigen musste sich auch die „Blanka“, weil – die Truppe immer zu Späßen aufgelegt – man ihn des Nachts beim Schlaf mit schwarzer Schuhcreme eingeschmiert hat und am nächsten Morgen mit Gelächter und den Worten empfing: „Die Blanka hat's mit 'ner Schwarzen getrieben!“  

Als mein Bruder nach der Lehre in der Adorfer Baumwollspinnerei zum Ingenieurstudium nach Meißen ging, musste ich seinen Platz im  Betriebsorchester einnehmen. Orchester klingt etwas hochtrabend. Besser gesagt, war es eine Kapelle, obwohl wir immerhin mit drei Geigen, Klavier, Akkordeon, Gitarre, Klarinette, Trompete, Posaune und Kontrabaß spielten. In dieser Besetzung umrahmten wir dann im Speisesaal der Baumwollspinnerei stattfindende Veranstaltungen mit konzertanten Kompositionen von Silwedel bis Strauß und sonstigen Orchesterstücken.
Abends, zum „Remmi demmi“-Tanzvergnügen, wechselten die Klarinette und eine Geige zum Saxophon, was der modernen Schlagermusik schon eher entsprach. Neben der gängigen Tanzmusik mit Foxtrott, Tango, Walzer, Polka usw. war als neueste musikalische Richtung Samba und Boogie-Woogie gefragt und angesagt.
Einmal nahm das Betriebsorchester an einem Kreisausscheid im Gewerkschaftshaus in Oelsnitz teil. Es gab ein niederschmetterndes Urteil für uns. Angeblich soll dem Obligat-Geiger – namens Berger Willy – seine Geige um einen ¼-Ton zu tief gestimmt gewesen sein. Die Abschlussempfehlung der Jury besagte, dass wir uns besser der Schrammel-Musik widmen sollten. Das hat uns aber nicht beeindruckt und von unserem Musizieren abgehalten. Interessant ist z.B., dass ich heute noch den Evergreen-Schlager „Herz, Schmerz und dies und das…“ in der relativ schweren Es-/As-Dur spiele, so wie er damals bei der Betriebskapelle arrangiert war. Was man richtig gelernt hat, vergisst man eben nicht!

Bei Tanzveranstaltungen in Gasthöfen, Ferienheimen oder bei Vereinen – wie z.B. dem Kegler- oder Feuerwehr-Maskenball – waren eher Kapellen in kleinerer Besetzung gefragt, was sich ja auch für den Veranstalter als billiger erwies. So wurde dann häufig als Trio in der Besetzung: Akkordeon, Gitarre und Baß oder gegebenfalls noch mit Saxophon, Schlagzeug und Klavier gespielt. Ganz besonders gut kam dann beim Publikum an, wenn die „Truppe“ auch bisschen singen konnte, was auf meine Musikerkollegen Lindner Max und Dvorak Karl zutraf.

Meine musikalische Ausbildung in Adorf kam mir auch später zu Gute und war immer gefragt, egal ob während meines Studiums in Moskau oder bis heute im Familien- und Bekanntenkreis oder zu sonstiger Gelegenheit.
Bei meiner obigen Berichterstattung über Erinnerungen und Erlebnisse war die Verwendung von Klarnamen nicht zu vermeiden. Benannte Personen mögen mir deshalb nicht böse sein. Ich wollte nicht erst „Decknamen“ einführen.