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Arnold Sprong beschreibt seine Zeit im Kriegsgefangenenlager in Adorf

Der amerikanische Soldat Arnold Sprong wurde im Juli 1944 in der Normandie gefangengenommen und landete letztendlich im Kriegsgefangenenlager der Reichsbahn in Adorf. Seine Zeit dort (bis Anfang Mai 1945) beschreibt er in einem Bericht und auch einem Interview. Manches wiederholt sich dadurch, aber jede Erzählung enthält interessante Details.

Das Arbeitslager in Adorf (Stalag 97, so erinnere ich mich) war hufeisenförmig angelegt. Hier verbrachte ich knapp zehn Monate, nachdem ich in der Nähe von St. Lo in der Normandie in Frankreich im Juli 1944 gefangengenommen worden war.

In dem offenen Ende des Hufeisens befanden sich das Quartier der Wachen und ein Lagerraum (in der Zeichnung: "Krauts"). In der Mitte zwischen den Baracken war ein Schlackenplatz mit einem Fleckchen Gras in der Mitte. Das einzige Tor befand sich zwischen dem Wachhaus und dem östlichen Ende des Hufeisens.

Zeichnung des Lagers von Arnold Sprong

Andere Bezeichnungen in der Skizze: B.R. = Schlafraum, Parlor = Aufenthaltsraum, Supplies = Vorratsraum, Washroom = Waschraum, Crapper = Abtritt, Tex's Office = Verwaltungsraum, Tex war der Gefangene, der als Sprecher zu den Deutschen fungierte)

Flurkarte des Lagers (Sammlung Bernd Stengel)

Hinter dem Tor, eine Böschung hoch, befand sich ein Lokschuppen, etwa 50 m vom Lager aus nach Osten. Dazwischen waren zwei oder drei Eisenbahnschienen. Eine Straße, vom Tor aus in westliche Richtung, durchquerte ein flaches, etwa 200m breites Tal und dann hoch zu einer Straße, die nach Adorf führte. Adorf, würde ich sagen, war etwa drei Kilometer entfernt.

Die Wachen waren Volkssturm-Soldaten, Ältere zwischen 60 und 70, oder sogar älter. Sie waren für diesen Dienst verpflichtet worden, um Soldaten in besserer körperlicher Verfassung in die Schlacht schicken zu können. Sie waren bewaffnet mit einer Mauser 98K, ähnlich unseres alten Springfieldgewehrs. Ein Unteroffizier führte die Gruppe an. Er war eine kleine wieselhafte Gestalt mit einem populären Hitlerbärtchen.

Der Lagerraum beinhaltete unter anderem unsere Pakete vom Roten Kreuz, wenn es welche gab. Wir dachten oft, dass die Wachen unseren Anteil einbehielten. Wir bekamen niemals ein komplettes Paket allein für uns; es war immer aufgeteilt. Ich erinnere mich nur an Teile eines amerikanischen, eines britischen und einiger kanadischer Päckchen, die ich in den ganzen Monaten erhalten habe.

Der Aufenthaltsraum unserer Gruppe befand sich am nordwestlichen Ende des hufeisenförmigen Lagers. Hier verbrachten wir die Stunden, in denen wir nicht arbeiteten oder schliefen. Der Raum war ungefähr 6 m x 6 m groß und hatte ein Fenster an jeder Seite. Entlang der Innenwand waren ringsum Tische angeordnet. Ich saß an einem Tisch gegenüber dem Fenster, das in den Innenhof blickte. In Kopfhöhe befand sich ein Regal. Jeder Gefangene hatte eine Zigarrenschachtel um Dinge aufzubewahren und eine Klim-Kaffeedose, die wir zum Kochen benutzten und alles reintaten, was die Mäuse nicht kriegen sollten. In der Mitte des Raumes befand sich ein Kanonenofen. Das einzige "Kochen", an das ich mich erinnere, war Suppe warm machen, Toast oder als Delikatesse „Klim-Cracker-Suppe“. Die haben wir aus den Zutaten der kanadischen Rot-Kreuz-Pakete erfunden. Die enthielten große, dicke und harte runde Cracker, die etwa 10 cm Durchmesser hatten, und eine Dose Klim Pulvermilch. Daraus kochen wir die Suppe, und manchmal hatten wir einen Schokoladenriegel aus den Paketen dazu – das schmeckte herrlich! Die Klimkaffeedose hatte die Größe einer kleinen Kaffeedose, wir kochten alles auf dem Ofen darin.

Zum Schlafraum kam man durch eine Tür vom Aufenthaltsraum aus, es gab hölzerne Doppelstockbetten. Meine Koje war gleich rechts wenn man reinkam. Die Tür zum Schlafraum war tagsüber geschlossen, bis der Wachmann sie abends um neun aufsperrte. Wenn dann alle Gefangenen drin waren, wurde sie wieder zugesperrt. In der Mitte des Raums gab es einen Nachttopf (-eimer) für Notfälle, der wurde am nächsten Morgen ausgeleert. Ein einziger Eimer war manchmal ein Problem, denn Durchfall war oft auf der Tagesordnung. Die Matratzen bestanden aus Sackleinen mit einer Füllung aus Papierfetzen, die nach wenigen Minuten Liegen plattgewalzt waren. Aber wenigstens brachten sie ein wenig Nachgiebigkeit zwischen uns und den Holzlatten darunter. Ich hatte Schwielen an den Hüften. Manche hatten Stroh in ihren Matratzen. Der Schlafraum war leer bis auf die Stockbetten, einen Ofen, den Eimer, Mäuse und alles mögliche andere Krabbelzeug einschließlich Läuse. Jeder hatte Läuse. Sie übertragen Typhus, eine tödliche Krankheit. Die beste Kur dagegen ist waschen, was wir in einer Waschschüssel tun konnten. Falls du sie vom Körper wegbekamst, waren sie in deiner Kleidung. Die Deutschen sprühten uns einige Male ein gegen die Läuse, aber es half nur kurze Zeit.

Es gab aber ein Bad beim Lokschuppen, wo wir mitunter hingingen. Ich glaube, die Lokschuppenarbeitseinheit benutzte es jeden Tag, denn sie waren immer voll Schmierfett. Wir wurden nur einige Male in den zehn Monaten hingebracht. In großen Wannen wurde mit Kohle oder Feuerholz Wasser warmgemacht. Wir konnten unsere Waschschüssel eintauchen und uns mit einem Schwamm waschen. Ziemlich der einzige Unterschied zwischen dem Waschen hier und unserem Waschraum im Lager bestand in der Wassertemperatur. Im Lager war das Wasser eiskalt. Während meiner ganzen Zeit in Frankreich und Deutschland hatte ich nicht ein einziges richtiges Bad oder eine Dusche.

Wir kamen immer im Dunkeln entlang der Bahnlinie zum Lager zurück und zogen unseren Wagen mit Suppe. Diejenigen, die nicht mit zogen, lasen Kohlen entlang den Gleisen auf und steckten ihn in ihre „Brieftasche“, das heißt in einen Beutel aus Sackleinen, den jeder um den Hals trug. Die Züge wurden mit Kohle gefeuert, und wenn wir nicht genügend Kohlen auflasen, hatten wir nichts für unseren Ofen. Die Deutschen gaben uns nichts zum Heizen. Wenn wir dann beim Lokschuppen angekommen waren, querten wir die Bahngleise, gingen runter zu unserem Quartier und teilten das Essen auf.

Der Lagerkommandeur war niederträchtig, arrogant und man konnte mit ihm nicht verhandeln. […] Unser Wachmeister Karl war ein guter Wachmann. Er tat, was seine Aufgabe war, aber es war offensichtlich, dass er dachte der Krieg sollte vorbei sein und dass er lieber daheim bei seinen Enkeln wäre. Der einzige andere, an den ich mich erinnere, war ein kleiner dicker Kerl, dem man nicht vertrauen konnte, auch Karl tat das nicht. Die anderen drei oder vier waren unauffällig.

Es muss September oder Oktober gewesen sein, der Winter kam. Wir hatten nur das an, was wir trugen als wir gefangengenommen wurden. Wir bekamen grüne Armee-Übermäntel mit einem roten Dreieck für Kriegsgefangene auf dem Rücken. Ich glaube später bekamen wir eine Stoffmütze von der Art wie sie die deutschen Soldaten hatten, ohne Fell, aber man konnte die Ohren runter klappen. Es war eine gebirgige Gegend, und der Winter war kalt und brachte Schnee. Unsere Socken verschlissen, aber wir behielten jeden Fetzen, damit er wärmte. Sie gaben Flanellstoffteile aus, quadratisch und 40 mal 40 cm, die wir mit Zeitung um unsere Füße wickelten (Fußlappen). Wir hatten keine lange Unterwäsche oder Stiefel, nur die Schuhe, die wir bei der Gefangennahme trugen.
Wir befürchteten krank zu werden. Wenn du krank wurdest, musstest du es einfach überstehen. Durchfall war verbreitet, es gab ihn ohne Ende. Wir bekamen zerstoßene Holzkohle gemischt mit Wasser dagegen, und es funktionierte. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemand ernsthaft krank wurde, sie standen es einfach durch. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass jemand ins Krankenlager kam oder wann man da überhaupt hinkam. Die ganze Zeit über sahen wir keinen Arzt. Typhus war die Hauptsorge, gegen fast alles andere waren wir daheim in den Vereinigten Staaten geimpft worden. Sie erzählten uns, dass Kerosin helfen würde die Läuse loszukriegen. Ich tat welches auf die Haut und ließ es eine Weile drauf. Dann fing es an zu brennen und ich wusch es schnell ab. Es brannte immer noch und ich ging raus, ließ die Hosen runter und der Schnee und die Kälte machten den Rest. Ich hatte für einige Wochen keine Läuse.

Morgens wurden die Türen aufgesperrt und wir konnten entweder zum Aufenthaltsraum  oder durch die Tür auf der anderen Seite des Schlafraumes zu einem Waschraum und einer Latrine gehen, die sich am geschlossenen Ende des „U“s befand. Es gab nur kaltes Wasser. Die Toiletten bestanden aus einem Abort, das heißt ein langes Brett mit Löchern. Hinter der Wand, die man im Rücken hatte, war Platz für einen Reinigungszugang und dann kam ein Stacheldrahtzaun. Für die railroad guys, die Eisenbahnarbeiter, die im anderen Ende des „U“s lebten, war das genauso angeordnet, sie benutzten auch das gleiche Klo. An vielen Morgen musste in den Waschschüsseln erst das Eis gebrochen werden.

Wir arbeiteten zehn bis zwölf Stunden am Tag, sechs Tage die Woche. Der normale Ablauf war so, dass die Arbeitseinheit für den Lokschuppen früh zeitig mit dem Wachmann die Böschung hinaufstieg und zum Lokschuppen zur Arbeit ging. Dann kam der Wachmann zurück und die Fabrikarbeitereinheit packte den Schienenwagen und zog ihn in Richtung Stadt.

Gebrüder Uebel-Fabrik vorn links, Lokschuppen hinten links (Foto: Sammlung Fa. Bruno Günther)

Die Fabrik, in der wir arbeiteten hieß Gebrüder Uebel Fabrik. Es war eine Textilfabrik, in der aus Rohmaterial Stoff hergestellt wurde. Die Fabrik war im Zentrum von Adorf, einen Block entfernt vom Bahnhof. Der Wachmann übergab den ersten Trupp an die verantwortliche Person der ersten [einer anderen, unklar, welche}] Fabrik. Für unseren Uebel-Trupp („Uebel gang“) ging es weiter bis zu unserer Fabrik, hier gab uns der Wachmann ab. Abends kam der Trupp von der ersten Fabrik rüber, um uns bei der Uebel-Fabrik zu treffen, und dann zogen wir den Schienenwagen wieder zum Bahnhof. Von der Bahn bekamen wir einmal am Tag unser Essen. Sie gaben uns 1-Pfund-Laibe dunkles deutsches Brot, Kartoffel- oder Kohlrabisuppe in großen Thermobehältern und zwei Esslöffel Margerine. Einmal in der Woche erhielt jeder von uns eine Zwei-Unzen-Portion (knapp 60g) Fleisch oder Wurst und einen Löffel Marmelade. Das Brot war gut. Am Anfang teilten sich vier von uns ein Brot, und zum Ende hin wurden die Brote kleiner und wir mussten uns zu sechst oder zu acht eins teilen.

Ich erinnere mich daran, wie mich einer unserer Bewacher auf dem Rückweg von der täglichen Fabrikarbeit vor möglicher Strafe bewahrte. Ich hatte einen Laib Brot vom Schwarzmarkt bei mir. Unter meinem Übermantel trug ich meinen Beutel aus Sackleinen Hals, der an einem Seil befestigt war (und in den ein Brot wunderbar hineinpasste), das Seil über die Schulter und den Übermantel obendrüber. Wir zogen den (Schienen)Wagen vom Bahnhof die Gleise entlang, und einer der guten Wachmänner, sein Name war Karl, ein großer, netter (alter) Mann, der vom Volkssturm war, erwähnte gegenüber einem Gefangenen, der es an mich weitergab, dass es eine Inspektion geben würde, wenn wir zum Camp kämen. Sie hatten den Verdacht, dass jemand zusätzliches Essen ins Lager brachte. Also dachte ich, ach du liebe Güte, was mach ich jetzt? Ich hatte dieses Brot an mir hängen. Wir hatten Brotlaibe im Karren, in Beuteln. Also nahm ich mein Brot und legte es mit hinein. Wir kamen ins Lager und sie inspizierten jeden von uns. Das war wirklich knapp. Sie hätten mich erwischt, wenn der Wachmann nichts gesagt hätte.

Eines Sonntagnachmittags waren wir im Aufenthaltsraum, als alliierte Flieger einen Angriff auf den Lokschuppen flogen. Sie begannen das Feuer ein wenig früh, drehten einige Runden über dem Lager genau über meinem Kopf.

ins Deutsche übertragen von Antje Goßler, Mai 2014

Was dann passierte, beschreibt Arnold Sprong in seinem Interview bzw. berichtet auch Frederick O. Scheer darüber.